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Bei manchen Lesern mag sich ein Gewöhnungseffekt einstellen, wenn ihnen jedes Jahr, anlässlich der jüngsten OECD-Indikatoren, aufs Neue mitgeteilt wird, die niedrige Akademikerquote Österreichs werde nur noch von der Türkei unterschritten. Dazu besteht aber kein Grund, denn leider vergrößert sich der Abstand zu den fortgeschrittenen Ländern. Die bildungspolitisch Verantwortlichen lassen sich davon nicht aus der Ruhe bringen, für sie sind derlei Daten nur "begrenzt vergleichbar", da sie den "österreichischen Besonderheiten" nicht gerecht werden.
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Eine dieser Besonderheiten ist die gut ausgebaute Berufsbildung auf der oberen Sekundarstufe. Vor allem die Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) gelten vielen als das bildungspolitische Schmuckkästchen unseres Landes. Nach wie vor werden BHS-Absolventen von der Wirtschaft hoch geschätzt. Daher sagen viele Bildungspolitiker: Wir brauchen keine höhere Akademikerquote, denn in Österreich erwirbt man jene Qualifikationen, für die anderswo ein Hochschulstudium nötig ist, bereits in der BHS.
Seitens der Wirtschaftsforschung wird dem zunehmend widersprochen. Das im Vorjahr publizierte "Weißbuch" des Wirtschaftsforschungsinstituts etwa meint, die von unserem Bildungssystem hervorgebrachte Qualifikationsstruktur sei auf eine Situation zugeschnitten, in der sich die Industrie in einer technologischen Aufholphase befand.
Mittlerweile würden die Wachstumschancen aber in den forschungs- und wissensintensiven Branchen liegen, daher "bestimmt die Position bei Tertiärabschlüssen immer stärker die Wettbewerbsfähigkeit". Eine kürzlich vom Institut für Höhere Studien publizierte Studie kommt zum gleichen Ergebnis. Der Schwerpunkt liege zu sehr auf den mittleren Qualifikationen. Zur Stärkung seines Innovationssystems müsse Österreich den Hochschulbereich ausbauen.
Weltfremde Theorie? Instruktiv ist die Entwicklung der Schweiz, die wie Österreich sehr stark auf die sekundäre Berufsausbildung gesetzt und damit in der Vergangenheit gute Erfolge erzielt hat. Aber nun gibt es eine Trendwende. Lag die Schweizer Akademikerquote im Jahr 2000 noch bei 12 Prozent, so ist sie 2004 durch einen massiven Ausbau der Fachhochschulen auf 26 Prozent gestiegen. Für Österreich lauten die Zahlen 16 (2000) und 20 Prozent (2004).
Um die Weichen in Richtung Wissensgesellschaft zu stellen, wird Österreich aber noch eine weitere "Besonderheit" hinterfragen müssen: Die frühe Schultypendifferenzierung im Alter von zehn Jahren, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass hierzulande - wie die OECD feststellt - "nur ein geringer Anteil der Schüler die Hochschulzulassung erwirbt".
Der Autor leitet das Institut für "Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung" an der Universität Klagenfurt