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Der dienstälteste ÖVP-Politiker Wiens, Döblings Bezirkschef Adi Tiller, spricht mit der "Wiener Zeitung" über die Politik- verdrossenheit der Wiener, prangert die Respektlosigkeit in der Politik an und denkt mit 75 noch lange nicht an die Pension.
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"Wiener Zeitung": Herr Tiller, innerhalb der SPÖ und der ÖVP gibt es in letzter Zeit einen massiven Wählerschwund. Die SPÖ steht bei den Umfragen in Wien bei 35 bis 39 Prozent, die ÖVP bei 9 bis 14 Prozent. Wie erklären Sie sich die Enttäuschung und die Politikverdrossenheit vieler Wähler, die entweder gar nicht zur Urne gehen oder Protestwähler werden?Adi Tiller: Das kann ich Ihnen genau sagen. Die Politikverdrossenheit kommt daher, weil es so viele Probleme gibt. Außerdem machen die Politiker den Fehler, dass sie die Dinge nicht mehr in einer sachlichen Form lösen. Die Menschen haben den Eindruck, dass die Politiker nicht mehr vernünftig zusammenarbeiten. Zusätzlich finde ich es besonders schlimm, dass es im Umgang miteinander immer häufiger zu persönlichen Beleidigungen kommt. Aber in Döbling ist das Gott sei Dank alles anders.
Inwiefern?
In Döbling regiert seit 37 Jahren, also seit 1978, Adi Tiller. Ich bin Waage vom Sternzeichen und versuche seit jeher, alle zusammenzubringen. Wir hier im Bezirk haben keine ideologischen Probleme, sondern Sachprobleme. Es kann bei uns durchaus sein, dass es unterschiedliche Meinungen und Ansätze gibt, aber die Bürgerinnen und Bürger schätzen es, dass es bei uns keine persönlichen Untergriffe gibt und dass positiv für unsere Bürger gearbeitet wird.
Sie gelten als einer der Kapazunder innerhalb der Wiener ÖVP und profitieren ja auch sehr vom "Tiller-Effekt". . .
In der Tat ist es so, dass die Döblinger Bezirksvertretung 3800 Stimmen mehr hat als die ÖVP gesamt. Bezeichnend dabei ist, dass 1800 Bürger im Rathaus SPÖ wählen, im Bezirk aber mich, bei der FPÖ sind dies 1200, die das so handhaben. Eine aktuelle Studie der MA 18 weist auch darauf hin, dass die Mehrheit der Döblinger mit 80 Prozent mit ihrer Lebens- und Wohnqualität sehr zufrieden sind. Eines möchte ich noch klar festhalten: Die Ergebnisse bei der Wien-Wahl werden zwischen Rathaus und Bezirksebene wieder sehr divergieren.
Die ÖVP macht von der Bundespartei bis hin zur Bezirksebene eine Verjüngungskur. Sie sind nun 75. Ein Alter, in dem andere schon längst ihre Pension genießen. Haben Sie Angst, dass diese Verjüngungsdoktrin auch Sie trifft?
Nein, da habe ich überhaupt keine Angst. Ich werde auch selbst der Spitzenkandidat für die Wahl im Herbst in Döbling sein und bin zuversichtlich, dass ich gewinne. Übrigens ist es für mich ein kleines Jubiläum, es ist das 10. Mal, dass ich mich zur Wahl stelle. Zu Ihrer Frage bezüglich der Verjüngung möchte ich Ihnen sagen, dass auch wir im Bezirk auf die Jungen schauen. Mit der Nominierung von Elisabeth Olischar von der jungen ÖVP an der 2. Stelle im Bezirk decken wir auch die Bedürfnisse der jungen Menschen sehr gut ab. Aber auch andere junge Menschen helfen mir in meinem Team.
Was macht Sie Ihrer Meinung nach so unersetzbar?
Viele Probleme kann man besser lösen, wenn man die Erfahrung von mir einsetzen kann. 92 Prozent der Döblinger kennen mich persönlich. Ich bin ständig bei den Menschen. Daher lautet mein Wahlslogan auch: Mit Erfahrung weiter für Döbling. Der Tiller hat noch viel vor.
Ihre Kollegin im ersten Bezirk, Bezirkschefin Ursula Stenzel, ist der Verjüngungskur offenbar aber zum Opfer gefallen. Sie wurde von der Partei im Herbst abserviert und durch Markus Figl ersetzt. Nun erwägt sie eine eigene Liste...
Das ist noch nicht gesagt. Ich habe ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu Ursula Stenzel. Sie war eine hervorragende Mitarbeiterin beim ORF, eine ausgezeichnete Fraktionsführerin der ÖVP beim EU-Parlament und ist nun eine ganz engagierte Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt. Sie hat Durchschlagskraft und Handschlagqualität.
Dennoch hat sich die Partei für die kommende Wahl für Figl entschieden.
Ich habe mit ihr ein Gespräch geführt und ihr gesagt, dass sie nun für sich selbst eine Entscheidung treffen muss, die ihr Renommee nicht gefährdet. Denn sie ist eine angesehene Persönlichkeit. Doch welchen Weg sie letztlich künftig einschlägt, ist einzig und allein ihre Entscheidung und da hat ihr niemand dreinzureden. Sie hat hierbei vier Wahlmöglichkeiten. Entweder sie tritt mit einer eigenen Liste Ursula Stenzel an oder sie schließt sich einer anderen Partei an. Drittens könnte sie auch auf der ÖVP-Liste auf einem anderen Platz kandidieren oder sich ganz zurückziehen.
Die FPÖ profitiert von den parteiinternen Querelen von SPÖ und ÖVP. Sind starke Zuwächse zu erwarten?
Durch die Spannungen innerhalb der rot-grünen Stadtregierung und die nicht notwendigen Diskussionen treibt man die Wähler in die Hände der FPÖ. Denken Sie an die Streitigkeiten wegen der Mariahilfer Straße, an die Debatte rund um die grünen Radstreifen und an das Langzeitthema Parkraumbewirtschaftung. Dies alles zeigt, dass in der Wiener Regierung nicht einheitlich gearbeitet wird. Allein die Idee, die Ringstraße für Autofahrer zu sperren. Ja um Gottes willen, sollen die Autofahrer etwa durch die Herrengasse fahren? Von all diesen Dingen profitiert die FPÖ. Die sagen: Wir machen es besser. Die Wähler der FPÖ sind nicht alle Sympathisanten der Ideologie und des Parteibuches der Blauen, sondern machen ihr Kreuzerl sehr oft nur aus Protest bei der FPÖ hin.
Einen Bürgermeister Strache wird es aber Ihrer Meinung nach in absehbarer Zeit nicht geben, oder?
Nein, das glaube ich nicht. Denn die haben derzeit bei den Umfragen zwischen 30 und 34 Prozent und da brächten sie einen Koalitionspartner für eine Stadtregierung und diesen sehe ich derzeit nicht.
Kommen wir zu Döbling: Ein permanentes Geschäftssterben, die Heurigenkrise und die Parkplatzprobleme machen dem Bezirk zuschaffen, was tun Sie dagegen?
Zum Geschäftssterben möchte ich sagen, dass es leider in ganz Wien so ist, dass immer mehr kleine Geschäfte zusperren. Aber wir versuchen, dies durch möglichst viele Neueröffnungen im Bezirk wettzumachen. Bei den Heurigen ist das Problem, dass viele Kinder der Winzer andere Berufe ergriffen haben und einfach den elterlichen Betrieb nicht mehr fortführen wollen. Hier steuern wir entgegen und forcieren neue Restauranteröffnungen in Döbling.
Und das große Parkplatzproblem?
Maria Vassilakou hat nie das persönliche Gespräch mit uns gesucht. 70 Prozent der Döblinger haben sich gegen ein Parkpickerl ausgesprochen. Daher bin ich auch der Ansicht, dass wir es nicht brauchen. Es gibt zwar einige überparkte Gebiete wie Heiligenstadt. Da wollten wir ein Anrainerpickerl, aber Vassilakou hat uns das abgedreht und gesagt, wenn wir keine Parkraumbewirtschaftung machen, dann geht das nicht. Das ist ja eine Diktatur wie beim Putin. Der Tiller hat aber auch hier reagiert. Es gibt in der Muthgasse zwei Park-and Ride-Anlagen mit je 150 Stellplätzen. Die Preise sind dort so günstig wie in ganz Wien nicht. Weitere 100 Stellplätze sollen in wenigen Jahren durch einen Zubau von Raiffeisen dazukommen.
Abschließend noch eine Frage zu Respekt und zur Toleranz - Stichwort Homo-Ehe. Sie prangern oft die Respektlosigkeit an. . .
Lotte Tobisch hat tausendprozentig recht, wenn sie sagt, dass wir Persönlichkeiten wie Raab, Figl oder Kreisky brauchen. Die waren authentisch. Es wurde respektvoll umgegangen miteinander. Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner haben so viele Termine und Reisen, dass sie nicht mehr die Zeit haben, mit den Menschen zu reden. Das machen die Bezirke an der Front. Zu Ihrer Frage: Ich bin für die Freiheit der Menschen. Jeder kann selbst entscheiden, wie er leben will. Die ÖVP muss sich öffnen und toleranter werden. Toleranz ist aber im neuen Parteiprogramm verankert und wird auch gelebt werden. Ich erwarte einige Veränderungen.
Adi Tiller ist seit 1978 Bezirkschef in Döbling. Seine politische Karriere begann 1969 als ÖVP-Bezirksrat im
19. Bezirk. Zwischen 1973 und 1978 war er auch
Bezirksvorsteher-Stellvertreter.