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Die Palästinenser am Scheideweg

Von Rainer Mayerhofer

Politik
In Gaza, wo man am vergangenen Wochenende des zweiten Todestages des langjährigen Palästinenserführers Yasser Arafat gedachte, sollen jetzt die politischen Karten neu gemischt werden. Foto: ap/Hatem Moussa

Wechsel an der | Regierungsspitze der Palästinenser. | Internationale Isolation soll aufgebrochen werden. | Zwei Jahre nach dem Tod des palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat stehen die Palästinenser möglicherweise vor einem politischen Wendepunkt, der über ihre weitere Zukunft entscheiden wird.


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Ministerpräsident Ismail Haniyeh, der zwei Monate nach dem klaren Wahlsieg der Hamas im Jänner, seit Ende März die Palästinenserregierung führt, hat angesichts der faktischen Lage seinen Rückzug eingeleitet. Der ehemalige Präsident der Islamischen Universität von Gaza, Mohammed al-Shbeir soll das neue Kabinett leiten, das die internationale Isolierung der Palästinenser beenden soll.

Bei der Außenministerkonferenz der Arabischen Liga, die am Wochenende in Kairo tagte, haben die arabischen Staaten bereits ein Ende der Finanzblockade gegen die palästinensische Regierung beschlossen. Der bisherige palästinensische Chefdiplomat, Mahmoud al-Zahar, hat bei dieser Konferenz erstmals die Bereitschaft der Hamas bekundet, an einer internationalen Friedenskonferenz mit Israel teilzunehmen.

Bewegung in den starren Fronten

Diese Beschlüsse bringen Bewegung in die seit Monaten starren Fronten im Nahen Osten.

Die internationale Blockade der Palästinenser hatte die Regierung unter Ismail Haniyeh auch intern in eine ausweglose Situation gebracht. Die Gehälter der Staatsangestellten konnten nicht mehr ausgezahlt werden, die Lehrer streikten seit Wochen und die Anhänger der bei der Wahl unterlegenen Fatah machten die Hamas-Regierung bei wütenden Protesten mehrfach für diese unhaltbaren Zustände verantwortlich.

Der Poker um die Macht in Palästina dauert seit den Wahlen im Jänner an. Präsident Mahmoud Abbas, der erst am Sonntag offiziell zum Nachfolger Yasser Arafats als Chef der Fatah bestellt worden ist, versuchte seit Monaten mit Verhandlungen und Ultimaten eine Einigung mit der Hamas zu erreichen, wurde aber immer wieder hingehalten.

Kernpunkt des Problems war die Weigerung der Hamas, Israel anzuerkennen, ein Schritt, zu dem sich die Fatah unter Arafat nach langen internen Kämpfen durchgerungen hatte. Präsident Abbas steht für die Kontinuität dieser Politik.

Jede künftige palästinensische Regierung wird an dieser Frage gemessen werden. Hamas-Regierungschef Ismail Haniyeh ist letzten Endes an dieser Frage gescheitert.

Er musste hinnehmen, dass Israel mehrere seiner Minister und Abgeordneten unter Terrorverdacht festnahm. Zuvor war es ihm nicht gelungen, palästinensische Splittergruppen dazu zu bringen, den im Juni entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit freizulassen.

Das musste nachgerade israelische Reaktionen herausfordern, die Haniyeh in seinem Streit mit Präsident Abbas zwar zumindest kurzfristig eine Atempause verschafft, die humanitäre Lage in den Palästinensergebieten aber weiter verschärft haben.

Die Israelis wiederum haben mit ihren Kommandoaktionen im Gaza-Streifen erst jüngst wieder heftig übers Ziel geschossen, als in Beit Hanun 19 Zivilisten ums Leben kamen. Israels Regierungschef Ehud Olmert hat in diesem Zusammenhang von technischem Versagen gesprochen. Die USA haben eine Verurteilung Israels im UN-Sicherheitsrat mit ihrem Veto verhindert, damit aber weltweit für Entrüstung gesorgt.

Araber durch die USA brüskiert

Die arabische Welt ist auf die Dauer nicht bereit, diese Situation weiter tatenlos hinzunehmen. Die Aufhebung der finanziellen Sanktionen gegenüber den Palästinensern kam nicht zuletzt unter diesen Vorzeichen zustande.

Aber auch in Israel scheint man die Zeichen der Zeit allmählich zu erkennen. Vor seinen Gesprächen in den USA hat Ministerpräsident Ehud Olmert durchblicken lassen, dass er auch mit einer palästinensischen Regierung unter Hamas-Beteiligung reden werde. Man werde nicht alle Minister einer künftigen palästinensischen Regierung überprüfen, sagte der israelische Premier, setzte als Bedingung für Gespräche aber voraus, dass die Hamas die Bedingungen des Nahost-Quartetts akzeptiert.

Offensichtlich ist man in Jerusalem zu der Ansicht gelangt, dass man Wahlresultate anerkennen muss, auch wenn man sie nicht gutheißt. Olmert, der nach dem Krieg mit dem Libanon intern schwer unter Druck geraten ist, braucht dringend einen Erfolg und setzt offensichtlich auf die Veränderungen bei den Palästinensern.

Die explosive Lage im Libanon ist für Israel ein Grund mehr, wenigstens die Palästinenserfront unter Kontrolle zu wissen.

Noch ist abzuwarten, welchen Weg die neue palästinensische Regierung einschlagen wird. Ihre Zusammensetzung kennt noch niemand. Erste Signale von palästinensischer Seite lassen aber eine gewisse Hoffnung aufkeimen, dass sich auch in Gaza und im Westjordanland die pragmatischen Kräfte durchsetzen.

EU hofft auf neuen Friedensprozess

Auch die Europäische Union, die an einer Beilegung der Konflikte im Nahen Osten ja besonders interessiert ist, hofft auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses unter einem neuen palästinensischen Kabinett. EU-Chefdiplomat Javier Solana meinte Montag am Rande des EU-Außenministerrates, er sehe gute Chancen, dass eine Regierung der nationalen Einheit in Palästina den Friedensprozess voranbringt und ein neuer Waffenstillstand erreicht wird, der der internationalen Gemeinschaft ermöglicht, normal mit den palästinensischen Behörden zusammenzuarbeiten.

Gerade die EU hat in der Vergangenheit auf humanitärem Sektor unzählige Projekte in den Palästinensergebieten mit Millionenbeträgen gefördert und musste in den vergangenen Monaten hilflos zusehen, wie Wohnsiedlungen und Schulen bei den Auseinandersetzungen zwischen radikalen Palästinensern und Kommandounternehmen der israelischen Armee in Trümmer fielen.