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Unter dem neuen Kanzler Alexander Schallenberg ist wieder Ruhe eingekehrt. Dahinter brodelt es in den Eingeweiden der Republik.
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Nach der Auslieferung von Sebastian Kurz durch den Nationalrat ist Alexander Schallenberg als Kanzler faktisch einzementiert. Selbst bei rascher Arbeit der Behörden und Gerichte ist die Rückkehr von Kurz auf den Ballhausplatz ungewiss. Denn die Grünen, die die Selbstabsetzung des bereits zweimaligen Altkanzlers forciert haben, kommen mit dem geschmeidigen neuen Kanzler gut zurecht. Und solange die Pandemie nicht besiegt ist, würde man im Wählervolk einen erneuten Wechsel nicht verstehen. Paradox, aber wahr: Die Pandemie ist zur Regierungsstütze geworden.
Ob es eine eigenständige Idee von Kurz war, ist mittlerweile einerlei. Sein unter dem Druck der ÖVP-Landeshauptleute erfolgter Vorschlag, den Diplomaten Alexander Schallenberg als Bundeskanzler zu installieren, hat Österreich jene Ruhe verschafft, die sich der Nachfahre eines Kommandeurs der Donauflotte von Anfang an gewünscht hat.
Dahinter brodelt es in den Eingeweiden der Republik. Die Ibiza-Affäre ist noch nicht ausgestanden, ein ehemaliger Vizekanzler ist angeklagt. Ein ehemaliger Bundeskanzler wird verdächtigt, in einen Umfrageskandal verwickelt zu sein. Ein hochrangiger Diplomat musste suspendiert werden, weil er die Formel eines tödlichen Giftes an einen ehemaligen Wirecard-Manager weitergegeben haben soll. Und selbst die Sozialdemokratie, derzeit mit weißer Bluse, war in ihrer jüngeren Vergangenheit (zuletzt in der Ära Werner Faymann) nicht fleckenlos. Nur die Grünen und die Liberalen wirken jungfräulich. Die Parteipolitik generell ist jedenfalls schwer beschädigt.
Die schon lange anhaltende, aber immer deutlicher auftretende Schwäche der Parteien hat eine Hauptursache: An die Stelle von Weltanschauungen sind in den traditionellen Lagerparteien politischer Geschmack und Haubenköche getreten. So ist in der ÖVP der Katholizismus mittlerweile eine Randerscheinung. Seine polnische Variante hat im Verein mit Neoliberalismen zwar die Kurz-Büros erobert, ist aber wegen der Pandemie und der Inseraten-Affäre gescheitert. Es ist außerdem wieder die soziale Marktwirtschaft angesagt. Die von den Marktliberalen gewünschte Verabschiedung des Staates aus der Wirtschaft ist für Jahre aufgeschoben, wenn nicht überhaupt aufgehoben. Statt Friedrich von Hayek ist wieder John Maynard Keynes angesagt. Die ÖVP ist wieder, was sie immer war: eine auch in Machtfragen föderalistisch und nach Bünden gegliederte Partei.
In der SPÖ ist das Spitzenpersonal wie zu den Gründungszeiten Ende des 19. Jahrhunderts akademisch gebildet, aber der Kontakt zu den Massen gelingt nicht. Wie auch? Diese "Massen" gibt es nicht mehr, weil sie großteils durch die Errungenschaften der Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert ins Bürgertum aufgestiegen sind. Lohninitiativen wie im Burgenland sind eine zu schmale Brücke. Also flüchtet man auch hier in den Appeal von Haubenköch(inn)en.
Die FPÖ, Speerspitze des deutschnationalen Lagers, wurde letztlich auf einen ausländerfeindlichen, populistischen Rest reduziert. Um darüber hinaus zu punkten, ist nach Ansicht der Partei das Virus weniger gefährlich als der Islam. Außerdem lebt sie wie immer von Frustrierten und Modernisierungsverlierern, vor allem aus den nur halbgebildeten Schichten. Sie sind, wie die jüngste Wiener Massendemo der Impfverweigerer gezeigt hat, ein Faktor der Innenpolitik, weil Herbert Kickl auch die Rechtsradikalen an die FPÖ zu binden vermag.
InnenpolitischeKonstanten
Doch wer hält die Demokratie dieser Republik eigentlich zusammen?
Die fast schon monarchische Rolle von Alexander Van der Bellen in der Hofburg ist staatstragend geworden. Nicht auszudenken, was Norbert Hofer als Bundespräsident ausgelöst hätte. Er wäre entweder kaum sichtbar gewesen oder hätte Österreich in eine wirkliche Krise gestürzt, weil ihm das Format Van der Bellens fehlt.
Der Föderalismus bleibt ein wichtiger Faktor. Derzeit spielen die (schwarzen) Landesregierungen eher eine negative Rolle. Trotzdem aber sind sie multifraktionelle Bühnen geworden. Sowohl die Grünen als auch die Liberalen haben gezeigt, dass sie über Führungspersonal verfügen. Dazu kommt nun die KPÖ als stärkste Kraft in Graz, das etwa gleich groß ist wie das Burgenland oder Vorarlberg.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich als eine Institution bewährt, die der österreichischen Gesellschaft die gesellschaftspolitische Richtung gibt. Die Ehe für alle war zuletzt der wichtigste Entscheid dieses Gerichtes, das im Unterschied zu Polen oder Ungarn ähnlich wie das deutsche Verfassungsgericht durch seine Spruchpraxis die Gewaltenteilung stärkt.
Je massiver seinerzeit die Angriffe von Jörg Haider und zuletzt jene der türkisen ÖVP waren, desto stärker hielt die Justiz insgesamt zusammen - unterstützt von der Anwaltskammer und von der Justizministerin.
In den politischen Kommentaren wird meistens vergessen, dass die Kultur (allen voran die Salzburger Festspiele, die Wiener Festwochen, der steirische herbst und die ars electronica) mit ihren oft sehr politischen Programmen eine prägende Rolle spielen.
Heißer Herbst 2022 mit Bundespräsidentschaftswahl
Selbst wenn Behörden und Gerichte schnell arbeiten: Vor dem Sommer 2022 wird es keine Entscheidung in der Causa Kurz geben, und der Herbst wird bereits im Zeichen der Wahlwerbung oder eines Wahlkampfes um die Hofburg stehen. Van der Bellens erste Amtszeit endet im Jänner 2023.
Schließlich haben die Grünen ein gewichtiges Wort mitzureden. Die grüne Parteibasis würde es nicht verstehen, wenn Werner Kogler ohne Basisvotum seinen ursprünglichen Koalitionspartner wieder installieren würde. Ein Koalitionswechsel zu einer Formel Rot-Grün-Liberal - wie in Deutschland - stünde im Raum. Ein heißer Herbst 2022 ist zu erwarten. Denn zwischen Mitte September und Mitte Oktober wird die Bundespräsidentenwahl stattfinden, weil ab November Corona wieder aufflackern könnte. Dazu kommt, dass mindestens eine von fünf Landtagswahlen, die 2023 stattfinden müssen, auf 2022 vorgezogen wird, auf Ende Oktober zum Beispiel.
Kurz wird davon nicht profitieren - außer die ÖVP nominiert ihn, beflügelt von einem etwaigen Freispruch, als Kandidaten für die Hofburg. Das Mindestalter von 35 Jahren hat er ja Ende August erreicht.