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Die Verurteilungen 2020 gingen gegenüber dem Jahr davor zurück. Vermehrtes Zuhausebleiben führte zu weniger Delikten gegen Leib und Leben und fremdes Vermögen.
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Am 9. Oktober 2020 wurde ein 38-jähriger Wiener wegen Mordes an seiner Freundin verurteilt. Er hatte sie in der Nacht auf den 23. Jänner "mit einem gezielten Angriff gegen den Hals und mit Hilfe eines Kopfpolsters erstickt", heißt es in der Meldung zum Urteil. Der Mann ist einer von 86 Personen, die laut Statistik Austria im vergangenen Jahr wegen Mordes oder Mordversuchs verurteilt wurden.
Die Anzahl der Verurteilungen wegen Mord oder Mordversuch blieb damit konstant, auch 2019 waren es 86. Generell aber gab es 2020 abseits des kontinuierlichen seit 2012, einen abrupten Rückgang bei den Verurteilungen gegenüber 2019 um 11,4 Prozent auf 42.502 - "eine kleine positive Begleiterscheinung der Pandemie", sagt Uni Wien-Strafrechtlerin Katharina Beclin.
Weniger Chancen auf manche Verbrechen
Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen waren mit 30,4 Prozent wie im Jahr zuvor die größte Gruppe. Sie sanken aber von 14.824 auf 12.926. Einbruchs- und andere Diebstähle reduzierten sich im Pandemiejahr sogar um ein Fünftel. Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, erklärt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Wenn die Leute vermehrt zu Hause sind, leuchtet es ein, dass es sich nicht so leicht einbrechen lässt." "Ladendiebstähle waren beim bis auf Supermärkte geschlossen Handel in den Lockdowns kaum möglich", ergänzt Beclin.
"Sich beim Wurschtelstand zu betrinken und dann jemand anderen verletzen, war vermutlich nicht so einfach möglich wie sonst", sagt sie über den Rückgang der Gewalt im öffentlichen Raum. Insgesamt gab es mit 7.727 Verurteilungen wegen Delikten gegen Leib und Leben um 8,8 Prozent weniger als im Jahr davor.
Das ist im Übrigen mit einem Anteil von 18,2 Prozent die zweitgrößte Gruppe der Delikte, gefolgt von Delikten nach dem Suchtmittelgesetz mit einem Anteil von 16,6 Prozent bei den Verurteilungen 2020. Auch Verurteilungen wegen Körperverletzungen gab es vergangenes Jahr um zehn Prozent weniger als 2019.
Zwar verordnete die Regierung den Gerichten im ersten Lockdown eine kurze dreiwöchige Pause. Forsthuber sagt aber, dass die aufgeschobenen Verhandlungen nachgeholt wurden. Und: "Die Gerichtsverfahren liefen kontinuierlich weiter. Weniger Anzeigen führten zu weniger Anklagen und deshalb auch Verurteilungen."
Partnergewalt wird nach wie vor oft nicht verurteilt
Zwei Bereiche haben sich gegen den Trend entwickelt: Einerseits sind das die Verurteilungen wegen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger, die um 18 Prozent stieg. Das erklärt den Zuwachs von 8,3 Prozent bei den Delikten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, zu denen diese zählt. Allerdings haben sich die Meldungen illegaler Inhalte an die Meldestelle Stopline während der Pandemie gegenüber 2019 verdreifacht - vermutlich, weil man sich mangels Alternative vermehrt im Internet bewegt hat. Den Anstieg 2016 gegenüber 2015 erklärt die Strafrechtlerin im Übrigen mit dem damals neu geschaffenen Straftatbestand der sexuellen Belästigung.
Andererseits stieg auch die Anzahl der Verurteilungen aufgrund fortgesetzter Gewaltausübung um 15,8 Prozent an. Aus den 169 Verurteilungen aber die bessere Ahndung von Partnergewalt gegenüber (Ex-)-Frauen abzulesen, wäre zu kurz gegriffen. "Wenn man bedenkt, wie viele Tausend bei Gewaltschutzzentren beraten werden müssen, sind das extrem wenige", sagt Beclin. Tatsächlich hat die Polizei im Pandemiejahr 9.698 Gewalttäter aus gemeinsamen Wohnungen weggewiesen, das waren um 17,5 Prozent mehr als im Jahr davor.
Die Ursache für die ernüchternd kleine Anzahl an Verurteilungen sieht Beclin in den nicht ausreichenden Ermittlungen davor. "Es würde viel mehr Verurteilungen von Gewalttätern geben, wenn die Polizei flächendeckend eine Gefährlichkeitseinschätzung davor machen würde. Da gab es 2020 den Plan für ein Tool, das hat sich wohl ebenfalls verzögert."
Vorteil des Paragrafen 107b für die Strafverfolgung
Der Vorteil des Paragrafen 107b für die Strafverfolgung liege jedenfalls auf der Hand: "Eine gefährliche Drohung ist bei fortgesetzter Gewaltausübung mit bis zu drei Jahren bedroht. Dann kann auch Untersuchungshaft verhängt werden", sagt Beclin. Gegen eine Ohrfeige ohne Verletzungen, Kratzer oder blaue Flecken können sich betroffene Frauen nur zivilrechtlich zur Wehr setzen. Wurde ermittelt, dass es sich um fortgesetzte Gewaltausübung handelt, wird das Delikt aber Teil einer Strafsache, wo die Staatsanwaltschaft tätig werden muss.
Die Diversion, also etwa ein Tatausgleich als Alternative zu einem Strafverfahren gegen einsichtige Täter, die die Verantwortung für ihr Delikt übernehmen - was nur bei einer Strafandrohung von weniger als fünf Jahren möglich ist -, dürfte beim Rückgang der Verurteilungen laut dem Verein Neustart wenig Rolle spielen. Diese entwickelt sich im Bereich der körperlichen Gewalt stabil entsprechend den Delikten.