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Das neuartige Coronavirus wird der Menschheit bleiben. Ein Blick in eine Zukunft, die auf unbekannten Größen aufbaut.
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August 2021. Auf der Erde herrscht seit eineinhalb Jahren Pandemie. Das Coronavirus verbreitet sich beständig. Immer wieder werden Regionen abgeriegelt. Schulen sperren auf und zu, Arbeitnehmer pendeln zwischen Büro und Küchentisch, Lieferengpässe sind an der Tagesordnung, zwischenzeitliche Lockdowns normal. Eine Impfung wurde zugelassen. Sie schützt mit 65-prozentiger Sicherheit für sechs Monate vor der Lungenkrankheit Covid-19. Da einzelne Länder sich aber Bestände sichern, hapert es mit der Verteilung. 250 Millionen Menschen haben sich angesteckt, 1,75 Millionen der Patienten sind gestorben. Die Regeln zur Maskenpflicht ändern sich wöchentlich, wachsam sein ist die Devise.
Dieses Szenario zeichnet das renommierte Fachjournal "Nature" für die nähere Zukunft. Basis der Analyse sind Modellrechnungen zur Eindämmung des neuen Erregers Sars-CoV-2. Die Epidemiologen setzen fix voraus: Covid-19 wird der Menschheit bleiben. Die Zukunft ist ein Spiel mit unbekannten Größen.
Höchstens 60 Prozent der Genesenen entwickeln Antikörper, die für eine Dauer von sechs Monaten vor einer Neuinfektion schützen können - längere Erfahrungswerte gibt es nicht. Anders als andere Viren, die die Atemwege angreifen, verbreitet Sars-Cov-2 sich sommers wie winters. Nur weil die Menschen öfter im Freien sind, schrumpft in der warmen Jahreszeit die Ansteckungsgefahr. Was passieren wird, wenn der Covid-Erreger im Herbst auf die saisonale Influenza trifft, bleibt abzuwarten. Experten gehen von steigenden Infektionsraten in der kalten Jahreszeit aus.
Das menschliche Verhalten bremst die Verbreitung der Lungenkrankheit ein. Je rascher im pandemischen Geschehen strenge Maßnahmen ergriffen werden, desto effektiver wirken sie. Ohne dem in Österreich früh gesetzten Lockdown hätte das Land Anfang Mai etwa vier Mal so viele positive Fälle (60.000) und Tote (2100) zu erwarten gehabt, zeigt eine Analyse des Complexity Science Hub in Wien. In Spanien geriet die Fallzahl hingegen so stark außer Kontrolle, dass die Bevölkerung wochenlang nur im Umkreis von 200 Metern außer Haus durfte.
Mehr Tests zur Kontrolle, aber Strukturen fehlen
Da aber unzählige Arbeitgeber und Arbeitnehmer und womöglich die gesamte Wirtschaft einen zweiten allgemeinen Lockdown kaum überstehen könnten, ist Vorsicht in fast jeder Lebenslage das Gebot der Stunde. In einer Zeit, in der sich täglich etwas ändern kann, hat das Leben etwas von einem Tanz auf rohen Eiern. Mal Kino, mal nicht. Mal Maske nur in Supermärkten, mal auch im Freien. Mal reisen, mal nicht, und immer Abstand. Ein kleiner Preis, denn jeder Mensch könnte ansteckend sein, ein schwerer Krankheitsverlauf kann fast jeden treffen.
Am Montag lag die Zahl der Infektionen bei 19.877.261 oder fast 20 Millionen weltweit, jene der Todesfälle bei 731.570. Wenn die Immunität von Genesenen - ähnlich wie bei anderen Coronaviren - weniger als ein Jahr anhält, könnte es jedes Jahr pandemische Spitzen geben, berichtet die Harvard T. H. Chan School of Public Health in Boston im US-Staat Massachusetts.
"Das große Ziel ist, die Reproduktionszahl R dauerhaft unter eins zu halten. Das bedeutet, dass eine infizierte Person im Durchschnitt weniger als eine weitere Person ansteckt. Wenn das gelingt, gehen die Krankheitszahlen zurück", sagt der Simulationsexperte Niki Popper von der Technischen Universität Wien. Kleines Glück im großen Pech: "Das Virus hat die nette Eigenschaft, dass das Containment sehr gut funktioniert. Aber man muss es halt gut machen", betont Popper.
Solange es kein spezifisches Medikament und keine sicher wirkende Impfung gibt, heißt die Lösung Containment - also Eindämmung der Seuche oder die Begrenzung ihrer Verbreitung. Infektionsherde müssen unverzüglich identifiziert und isoliert werden. Entscheidend seien klare Anlaufstellen für Tests mit Ergebnissen binnen 24 Stunden, sowie die rasche Nachverfolgung von Kontakten und Isolierung von Covid-Positiven und den Personen in deren Umfeld, erläutert Popper: "Das funktioniert, solange die Zahlen nicht zu hoch ansteigen, und ist davon abhängig, wie viele Ressourcen für Contact Tracing zur Verfügung stehen. In der jetzigen Situation haben wir noch keine zweite Welle, sondern viele Mikro-Epidemien. Je stärker sie gedrückt werden, desto niedriger bleiben die Zahlen."
Doch wie viel Contact Tracing ist nötig, um lokale Ausbrüche im Zaum zu halten? Simulationsexperten der London School of Hygiene & Tropical Medicine haben die Effekte ausgehend von fünf, 20 und 40 Infizierten berechnet. Das Ergebnis: Wenn 80 Prozent der Kontaktpersonen innerhalb von wenigen Tagen isoliert werden, lässt sich die Seuche dauerhaft unter Kontrolle bringen. Die Gruppe testet nun, inwieweit digitale Instrumente, wie etwa die Corona-App, dabei helfen könnten. "Es wird darum gehen, eine Balance zwischen einer klugen Strategie gegen das Virus zu finden, und dem, was die Menschen im Alltag tolerieren", sagt Studienautorin Rosalind Eggo.
An Lösungen für die nächste Pandemie arbeiten
In Hotspots wie den USA, Brasilien oder Mexiko, wo tausende Infektionen pro Woche verzeichnet werden, wäre es derzeit eine Mission Impossible, 80 Prozent der Kontakte zurückzuverfolgen. Die eklektischen Todesraten auf dem Dashboard der Johns Hopkins University zeigen auch, dass sogar hochentwickelte Länder Defizite bei Test-Kapazitäten haben. In Europa führt nach wie vor Italien mit 259.566 Fällen die Krankheitsstatistik an. Mit 13,56 Prozent ist die italienische Todesrate ähnlich hoch wie die belgische. In Österreich erlagen hingegen von 22.033 Erkrankten 3,2 Prozent der Krankheit und in Neuseeland weniger als ein Prozent. Wo nur schwere Fälle und Personen mit Symptomen getestet werden, bleiben viele Infektionen unter dem Wahrnehmungsradar.
"Ich bin überzeugt, dass man das Virus durch regelmäßig wiederholte Testungen zum Verschwinden bringen kann", erklärt Christoph Steininger, Immunologe an der Medizinuniversität Wien, der einen Gurgeltest für zu Hause mit App entwickelt hat. "Allerdings sehe ich organisatorische Mängel. Hierzulande sind die Testkapazitäten nicht ausgelastet, dennoch müssen die Leute Schlange stehen und zu lange auf die Ergebnisse warten."
Bis diese Probleme gelöst sind, wird es noch dauern. So gesehen haben wir Glück, dass ein achtsames Verhalten vor dem Coronavirus schützen kann und es keine Krankheit auslöst, die so schwer verläuft wie das hämorrhagische Fieber Ebola, das in einem Drittel der Fälle tödlich ausgeht.
Um die Pandemie zu beenden, muss das Virus eliminiert werden. Wissenschafter rechnen nicht mehr damit, dass das möglich ist, weil es sich zu weit verbreitet hat. Eine andere Lösung wäre, eine Herdenimmunität aufzubauen, entweder durch Krankheit oder eine Impfung. Schätzungen zufolge müssen zwischen 55 und 80 Prozent der Menschheit immun sein, damit dieser Plan klappt. Da aber Erfahrungswerte zur Covid-Immunität fehlen, müssen wir warten. Und akzeptieren, dass die Medizin die Krankheit zwar behandeln, aber nicht verhindern kann. Neue Lösungen in der Krise finden. Unsere Pläne anders schmieden. Die Angst vor Einkommensverlusten im Zaum halten. Und ein Konzept entwickeln, wie wir mit der nächsten Pandemie umgehen können, die unweigerlich kommen wird.