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Rückblick zum 70. Geburtstag auf "viele erfolgreiche Jahre". | Zu wenig Überzeugungsarbeit für EU. | Steuersplitting ist vormodern. | "Wiener Zeitung":Sie feiern am heutigen Donnerstag Ihren 70. Geburtstag. Blicken Sie mit Wehmut oder mit Stolz zurück?
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Franz Vranitzky: Keinesfalls mit Wehmut. Ob man stolz sein kann, dass man älter wird, weiß ich nicht. Aber ich blicke auf viele erfüllte Jahre zurück - mit dem guten Gefühl, dass so manches, das ich anzupacken hatte, gelungen ist.
Was ist Ihnen in der Politik am besten gelungen?
Am besten gelungen - wenn man das selbst sagen kann - ist mir, dass ich trotz der beruflichen Herausforderungen immer noch ein Stück Privates bewahren konnte. Ich habe immer getrachtet, bei allem Engagement nicht in einen identitätsfreien Brei eingerührt zu werden.
Sie wurden 1988 SPÖ-Vorsitzender, zwei Jahre nach Übernahme des Kanzleramtes. Irgendwie hatte man stets den Eindruck, dass die Partei keine große Rolle für Sie spielte?
Das muss man vor dem Hintergrund der politisch sehr komplexen Jahre 1984/85/86 sehen. Es ist damals die Republik, die Bundesregierung, die SPÖ durch eine Reihe von sehr gravierenden Ereignissen in einer normalen Entwicklung gestört worden. Die Krise der Verstaatlichten, die Affären Lucona, Noricum, eine unter großen Aufregungen stattgefundene Bundespräsidentenwahl, dann der Rücktritt von Bundeskanzler Sinowatz, der Parteitag der FPÖ und last but not least eine Nationalratswahl, bei der uns die ÖVP sehr nahe gekommen ist. Die damals noch Sozialistische Partei, ihre Funktionäre und Mitarbeiter haben darunter enorm gelitten. Das waren Brüche, auch im politischen Bewusstsein vieler Menschen.
Es war so viel an Tagesarbeit zu machen, dass ich große Konzentration darauf verwenden musste, die Parteiarbeit wieder in normale Bahnen zu lenken. Wenn da der Eindruck entstanden ist, dass die Regierungsarbeit absolut im Vordergrund stand, kann ich das verstehen. Die Partei hat sich aber wieder erfangen und wir haben bei den folgenden Nationalratswahlen den Abstand zur ÖVP wieder vergrößert. Immerhin hätte es ja 1986 geschehen können, dass die ÖVP uns überholt hätte. Das wäre dann ein dramatischer Abschluss einer Epoche gewesen.
Warum dramatisch? Ein Machtwechsel nach so langer Zeit sollte in Demokratien normal sein.
Schon, nur legt die eigene Partei keinen großen Wert auf den politischen Wandel, sondern auf die Kontinuität ihrer Mehrheit.
Der Waldheim-Wahlkampf war 1986. Ihre Erklärung zur Rolle Österreichs im Nationalsozialismus, der ersten Klarstellung eines Bundeskanzlers, erfolgte 1991. Warum haben Sie dafür so viel Zeit gebraucht?
Ich wollte und durfte nicht riskieren, dass durch ein sorgloses Timing das Ziel dieser Erklärung verpasst wird. Die Erklärung erfolgte dann im Rahmen einer parlamentarischen Debatte über die Kriegsführung in Jugoslawien. Damals war es notwendig zu sagen, wie wichtig es ist, dass man durch eine historische Aufarbeitung mit katastrophalen Entwicklungen im eigenen Land zurande kommen muss. Aber selbst 1991 haben noch einige gemeint, das sei eine überflüssige Fleißaufgabe gewesen.
Ihnen wird als Verdienst angerechnet, dass Sie es stets kategorisch ausgeschlossen haben, mit der Haider-FPÖ eine Koalition zu bilden. Umgekehrt hat die Tabuisierung der FPÖ als Regierungspartei natürlich die logische Konsequenz gehabt, der SPÖ die Kanzlerschaft zu sichern.
Natürlich spielten hier mehrere Überlegungen eine Rolle. Aber im Zentrum steht - das wird von den Leuten immer ignoriert, die so gern von einer Ausgrenzung reden -, dass die Haider-FPÖ es nicht schaffte, sich vom Nationalsozialismus eindeutig zu distanzieren. Das stand für mich immer im Zentrum, taktische Überlegungen kamen peripher hinzu. Ich hätte die Partei durch eine Koalition mit der Haider-FPÖ in eine sehr schwierige Situation gebracht. Freiheitskämpfer, Frauenorganisation, aber auch die vielen, die Angehörige in den Nazi-Konzentrationslagern verloren haben, hätten das nicht akzeptiert. In hundert Stücke hätte die Partei zerfetzt werden können.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sehen, dass Ihr großer innenpolitischer Gegenspieler Jörg Haider immer noch Landeshauptmann und die Kärntner SPÖ einmal mehr durch innere Querelen gelähmt ist?
Eine Antwort darauf ist nicht einfach. Das Bedauerliche ist, dass es in der Kärntner SPÖ immer wieder Entwicklungen gibt, die die Geschlossenheit der Partei in Zweifel ziehen. Davon profitieren die politischen Gegner, in diesem Fall der Landeshauptmann. Aber ich beeile mich hinzuzufügen, dass ich trotzdem die politische Arbeit von Gaby Schaunig positiv beurteile. Und ich hoffe, dass sie ihre Schäfchen wieder in die Herde herein holt.
Der Wähler-Zulauf zu Populisten mit scheinbar simplen Lösungen für komplexe Probleme ist ungebremst. Versagt hier seriöse Politik?
Aus der politischen Geschichte können wir ja immer wieder Entwicklungen ablesen, dass Mitglieder der Gesellschaft mit Veränderungen nicht einverstanden sind und deshalb beharrende Kräfte entwickeln, um ihre derzeitige Position nicht zu gefährden. Reformen sind zu jeder Zeit notwendig, gleichzeitig stellen sich gar nicht so wenige Menschen diesen entgegen. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich die Veränderungen noch weiter beschleunigt: Nahezu alle europäischen Grenzen sind offen, es gibt Zuwanderungsbewegungen, die soziale Frage ist eine offene Wunde. Wenn nun eine politische Partei dieses Beharrungsvermögen vieler Menschen mit ihren Parolen bedient, haben Sie das, was wir den Erfolg von Populisten oder Nationalen nennen - Haider, Strache und Westenthaler, aber auch bei Kaczynski, beim Vlaams Block und so weiter . . .
... allerdings können auch etablierte Großparteien der populistischen Versuchung oft nicht widerstehen - vor allem in Wahlkampfzeiten.
Da haben Sie schon Recht. So mancher Versuchung erliegen auch die großen Parteien. Aber ich meine doch, dass es die großen politischen Kräfte waren und sind, die mittels eines höheren Diskussionsangebots die Neuerungen den Bürgern so nahe bringen müssen, dass diese sich selbst darin wiederfinden. In Österreich sind wir etwa mit einer verhältnismäßig großen Zahl von Europa-skeptikern konfrontiert. Diesen müssen wir klarmachen, dass die EU uns Möglichkeiten in die Hand gibt, unsere Zukunft besser zu gestalten als es kleinräumige Strukturen je zuließen. Diese politische Überzeugungsarbeit erfolgt mir nicht intensiv genug.
Was haben Sie sich denn gedacht, als im Sommer wieder einmal die Neutralitätsdiskussion aufgeflammt ist?
Die Neutralität wird von einem Großteil der Österreicher mehr emotional gesehen als kalkuliert. Die Österreicher assoziieren mit der Unabhängigkeit des Landes 1955 auch die Neutralität. Es ist ihnen daher nicht zu verdenken, dass die Beibehaltung dieses Status emotional bedingt einfach verlangt wird. Punkt.
Die ÖVP hat schon einmal die Neutralität in den Tabernakel der Geschichte verbannt, zuletzt habe ich aber von Molterer gehört: An der Neutralität wird nicht gerüttelt. Es ist schlicht politisch nicht sinnvoll, diese Diskussion auf die Spitze zu treiben. Sinnvoll und wichtig ist es, den gegebenen Status zu internationaler Zusammenarbeit zu nützen und so flexibel und solidarisch wie möglich einzusetzen.
Mit anderen Worten, die Neutralität als Mythos pflegen und sich in der Realität wenig darum zu kümmern?
Sie sind der Journalist, das können Sie kommentieren.
Die große Koalition zur Bewältigung großer Probleme scheint sich diesmal nicht zu bewahrheiten.
Mir ist nicht alles verständlich, was sich da jetzt abspielt. Ich stehe natürlich auf SPÖ-Seite und sage, es ist deshalb so schwierig, weil die ÖVP den Eindruck vermittelt, mit sich selbst nicht ins Reine zu kommen. Das wieder führt zu den regelmäßigen Nein-Reflexen. Bei jedem SPÖ-Vorschlag kann man eine beachtliche Summe Geldes darauf wetten, dass von der ÖVP ein Nein kommt. Das wenig Verständliche daran ist: Keine Regierungspartei gewinnt durch diese Gegensätzlichkeiten. Wenn ich höre, man streitet in der Regierung, um die Opposition mundtot zu machen, dann ist das ein lachhaftes Argument.
Sind die Gegensätze zwischen SPÖ und ÖVP nicht doch zu groß?
Sie dürften sehr groß sein. Alleine wenn ich mir den Vorschlag des Familiensplittings anschaue, der ja wirklich vormodern und das Gegenteil einer zukunftsorientierten Politik ist. Möglicherweise ist die ÖVP noch lange nicht über den Berg, den zweiten Platz verwunden zu haben.
Haben Sie einen Ratschlag für Alfred Gusenbauer?
Er hat im Verlauf dieses Jahres Fuß gefasst, er hat an Statur gewonnen. Wenn Sie mich nach einem Tipp fragen: Er soll sich von diesen Bassena-Beiträgen - dass er sich im Ausland vergnügt, während die anderen zu Hause arbeiten - nicht beirren lassen. Außenpolitik ist eben auch eine Funktion des Regierungschefs und dazu gehört, dass man ab und zu ins Ausland reist.
Und schweigt?
Ein Schweiger wie sein Vorgänger ist er erfreulicherweise nicht.
Zur Person
Franz Vranitzky wurde am 4. Oktober 1937 in Wien geboren. Er beendete das Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuni 1960 mit dem Diplom und promovierte noch während seiner Tätigkeit bei der Nationalbank 1969.
In Politiknähe kam Vranitzky erstmals (1970 bis 1976) als Mitarbeiter von Finanzminister Hannes Androsch. Von dort wechselte er in den Bankenbereich: zuerst als Vorsitzender-Stellvertreter der CA, dann als Vorstandschef in die Länderbank.
Kanzler Fred Sinowatz holte Vranitzky 1984 als Finanzminister. Schon 1986, als Sinowatz in Folge des Bundespräsidentenwahlkampfes zurücktrat, übernahm Vranitzky das Kanzleramt (1997 übergab er es an seinen Finanzminister Viktor Klima), von 1988 bis 1997 war er auch SPÖ-Vorsitzender.
Am Mittwochabend erhielt er im Kreisky-Forum das für ihn von seiner Tochter Claudia Knehs-Vranitzky herausgegebene Buch "Ein großer Europäer. Weggefährten über Franz Vranitzky".