Zum Hauptinhalt springen

Die Parteienlandschaft zersplittert - und die Sozialdemokratie leidet darunter am meisten

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Der Blick auf die reinen Zahlen täuscht. Der Verlust von 21 Mandaten der Europäischen Volkspartei mag auf den ersten Blick hoch erscheinen, berücksichtigt aber nicht, dass die Zahl der Abgeordneten im neuen EU-Parlament reduziert wurde. Zwar ist auch dann noch ein bescheidener Verlust zu verzeichnen, aber die Konservativen konnten sich einigermaßen stabil halten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Fast alle anderen haben in unterschiedlichem Ausmaß verloren. Bis auf die Grünen, die deutlich zulegten, und die Gruppe der Fraktionslosen, die von 30 auf 90 Mandate geradezu explodierte. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass die meisten der Abgeordneten, die in dieser Gruppe aufscheinen, vorhaben, bald eine neue, gemäßigt europakritische Fraktion zu bilden - rund zwei Drittel kommen von den britischen Tories, der tschechischen ODS und möglichen Verbündeten.

Die übrigen Fraktionslosen sind ein bunter Haufen, von Hans-Peter Martin angefangen bis zu den schwedischen "Piraten", die sich vor allem um Internet-Belange kümmern. Aber auch die Freiheitspartei des Niederländers Geert Wilders ist darunter, der sich trotz aller Islam-Beschimpfung mit der Allianz der Rechtsextremen nicht vertragen will, und auch die ungarische fremdenfeindliche Jobbik-Partei. Diese Zersplitterung sogar innerhalb der äußersten Rechten wird das Leben im EU-Parlament wohl unübersichtlicher als bisher machen. Die Kleinparteien, die in das Europaparlament eingezogen sind, haben davon profitiert, dass der Wahlgang von Politikern wie von den Bürgern nur als zweitrangig eingestuft wurde, die Wahlbeteiligung daher gering und die Versuchung zum Protest per Stimmzettel groß war.

Das schwindende Interesse der Wähler bezieht sich allerdings nicht nur auf Europa - bei nationalen Wahlen gehen zwar mehr Menschen zur Urne, ihre Zahl sank aber in den vergangenen Jahren gleichfalls. In Zeiten der Wirtschaftskrise wird man dies wohl nicht dadurch erklären können, dass die Leute mit den Verhältnissen, wie sie sind, zufrieden wären.

Vielmehr lässt sich dahinter eine Unzufriedenheit mit den demokratischen Prozessen vermuten, die bei vielen zu einer dramatischen Steigerung der Resignation führt. Offenbar sind immer mehr Menschen der Meinung, dass "die da oben" ohnehin machen, was sie wollen, ohne dass man etwas daran ändern könne.

Darunter leiden ausgerechnet jene Parteien, die sich einst die Veränderung der Verhältnisse auf die roten Fahnen geschrieben haben - die sozialdemokratischen. Sie haben im EU-Parlament am stärksten verloren, fast sieben Prozent.

"Die Sozialisten sind nicht mehr in der Lage, der Hoffnung eine Stimme zu geben", kommentierte dies der französische Sozialist Jack Lang. In den vergangenen Jahren haben sich viele sozialistische Parteien, etwa in Großbritannien oder in Deutschland, den Ideen der Neoliberalen angenähert, andere, wie in Italien und Frankreich, haben sich in Grabenkämpfen zerrissen.

Jetzt wird ihnen eine Rückkehr zu sozialen Themen und Solidarität nicht mehr abgenommen. Lieber geht man wieder zu den konservativen Parteien, denen eher zugetraut wird, durch wirtschaftlich schlechte Zeiten zu manövrieren. Oder zu jenen, die eine heile Welt durch nationale Abschottung versprechen. Oder eben zu den Grünen, die Spurenelemente der sozialistischen Ideologie mit urban-moderner Sehnsucht nach gesundem Leben verbinden.

Bei nationalen Wahlen mag das Bild für die Sozialdemokraten ob der höheren Wahlbeteiligung wieder etwas freundlicher aussehen. Am grundlegenden Manko wird das aber nichts ändern.