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Statt sie zu fluten, vergrößert steigender Meeresspiegel niedrige Inseln. | Korallen liefern den Nachschub. | Berlin. "Bisher hatte man angenommen, dass der Meeresspiegel steigt, die Inseln aber einfach sitzen bleiben und untergehen", erklärt Paul Kench von der Universität Auckland in Neuseeland eine wohl etablierte Theorie der Geoforscher über die Auswirkung des Klimawandels auf die Inselwelt der Südsee.
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Als der Spezialist für Küsten und Korallenriffe aber zusammen mit Arthur Webb von der Kommission für Angewandte Geowissenschaften auf den Fidschi-Inseln das Schicksal von 27 Pazifik-Inseln untersuchte, erlebte er eine Überraschung: "Der Meeresspiegel steigt, und die Inseln beginnen zu antworten", sagt er.
Ausgangspunkt der im "New Scientist" publizierten Untersuchungen waren historische Luftbilder der vergangenen 60 Jahre. Von Neuseeland verkehren seit 1951 Flugboote auf der "Korallenroute" zu den Fidschi-Inseln und weiter über Samoa, Tahiti und die Cook-Inseln zurück nach Neuseeland. Die Inseln und Atolle fliegt Air New Zealand noch heute an. Daher gibt es reichlich Luftbilder aus den Jahrzehnten. Kench und Webb verglichen auf solchen Bildern und modernen Satellitenaufnahmen die Umrisse von 27 Inseln.
Seit Beginn der Korallenroute ist der Meeresspiegel in der Südsee um zwölf Zentimeter gestiegen. Theoretisch hätten in jedem der vergangenen 60 Jahre die untersuchten Inseln um zwei Millimeter sinken müssen. Besonders niedrig gelegene Teile der Riffinseln (Motus) eines Atolls sollten überflutet sein.
Ursache: Korallenschutt
Gleichzeitig sollte die Erosion Teile der Küste abtragen und Salzwasser mit dem steigenden Meeresspiegel in die eine oder andere Süßwasserlinse im Untergrund eindringen und lebenswichtige Wasservorräte ungenießbar machen.
Tatsächlich jedoch sind seit den 1950er nur vier der untersuchten 27 Inseln geschrumpft. Die anderen 23 sind entweder gleich groß geblieben oder sogar gewachsen. In dem besonders gefährdeten Pazifikstaat Tuvalu, der nirgends mehr als fünf Meter über dem Meeresspiegel liegt, waren sieben der neun Atolle größer geworden, eines davon um 30 Prozent. Gleichzeitig ist in dem Zeitraum der Meeresspiegel um etwa 120 Millimeter angestiegen.
Als Webb einen Blick auf den typischen Aufbau einer Motu warf, fand er eine Erklärung für dieses auf den ersten Blick verblüffende Verhalten der Riffinseln: Um jedes Atoll wächst unter Wasser ein Korallenriff.
Jeder Tropensturm kann Schneisen der Verwüstung in ein Riff schlagen. Auch die normalen Wellen brechen Teile von abgestorbenen Korallenstöcken heraus. Ein Teil dieses Korallenschutts wird von Wind, Wellen und Strömungen an den Stränden der Motus angeschwemmt und lässt die Inseln an bestimmten Stellen wachsen. Im Meer wachsen die Korallen weiter und füllen die Lücken auf, die ein Sturm hinterlassen hat. Das Riff kann so laufend Nachschub für die Sandstrände liefern und die Inseln wachsen.
Als 1972 der Hurrikan Bebe Tuvalu im Pazifik traf, deponierte er 140 Hektar Korallenschutt und vergrößerte die Fläche der Hauptinsel um zehn Prozent. Schon damals konnte man also beobachten, dass Wind und Wellen solche Inseln auch wachsen lassen. Die Geschichte der Atolle erkennen die Geoforscher etwa beim Vergleich der Inseln Aitutaki und Atiu im Cook-Archipel der Südsee. Auf einer Hochebene von Atiu entdeckten sie dort einen Ring rund um das Plateau, den ein genauer Blick als Korallenriff mitten im Regenwald entlarvte.
Entstanden ist Atiu, wie die meisten Südsee-Inseln, indem vom Grund des Pazifik glutflüssige Lava aufstieg und einen Vulkan im Meer bildete, der nach dem Abkühlen des Gesteins unter Wasser von einem Korallenriff umgeben war. Der Vulkan ist längst erloschen, jedoch schiebt sich immer noch eine Erdplatte nahe Atiu unter eine andere Platte, die diese mitsamt der Insel und dem Korallenriff anhebt. Im Laufe der Jahrmillionen wurden so die Korallen viele Meter über den Meeresspiegel gehoben und starben ab. Sie stehen auf Atiu heute versteinert in einem Mini-Dschungel.
Gefahr: Klimawandel
Das nicht weit entfernte Aitutaki dagegen hebt keine Erdplatte an. Genau wie auf Atiu umgab dort ein Korallenriff einen längst erloschenen Vulkan. Mit der Zeit trugen Hurrikane und Tropenregen die über der Wasseroberfläche liegenden Teile der Vulkaninsel ab - von Aitutaki ist heute nur ein Gipfel übrig. Die Korallen am Rand aber halten mit dem Schrumpfprozess mit und wachsen weiter.
Der Schutt zerstörter Korallen wird zunächst als Korallensand an den Vulkanhängen angeschwemmt. Ist der Vulkan unter Wasser verschwunden, bleibt der Kraterrand sichtbar, weil sich dort der Korallenschutt auftürmt. Aitutaki ist daher von einem Ring kleiner Inseln aus Korallensand umgeben, die auf dem versunkenen Kraterrand wachsen. Doch bei ungebremstem Klimawandel dürfte der Anstieg des Meeresspiegels sich deutlich beschleunigen. Dann halten die Korallen vermutlich nicht mehr mit, und der Nachschub versiegt.