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Die Pferde wechseln, nicht nur das Zaumzeug

Von Heinz Högelsberger und Patrick Scherhaufer

Gastkommentare
Patrick Scherhaufer arbeitet als Politologe am Institut für Wald-, Umwelt- und Ressourcenpolitik der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und ist Teil von "Scientists for Future".
© privat

Für eine sozial-ökologische Wende nach der Corona-Krise.


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Aus der Corona-Krise lassen sich einige Lehren ziehen: Funktionierende Sozialstaaten mit einem gut ausgestatteten und für alle zugänglichen Gesundheitswesen sind der Krise besser gewachsen. Dort, wo sich der Staat aus der Verantwortung stiehlt oder das Gesundheitssystem kaputtgespart wurde, hat Covid-19 am schlimmsten gewütet. Lange globalisierte Wertschöpfungsketten, Just-in-time-Produktion und auf physische und psychische Ausbeutung ausgerichtete Arbeitsverhältnisse haben sich als extrem störanfällig erwiesen. Eine gerechte und regionalisierte Wirtschaft hat eine höhere Widerstandskraft sowie positive ökologische und soziale Wirkungen.

Das bisherige Prinzip, Billigarbeitskräfte aus Osteuropa (oder wie im Fall Italiens sogar aus China) für besonders schlecht bezahlte, anstrengende und unangenehme Arbeiten heranzuziehen, hat sich als sehr fragil erwiesen: Schon jetzt fehlen 24-Stundenpflegerinnen, Lkw-Fahrer und Erntearbeitskräfte. Hier muss es zu einer gesellschaftlichen und finanziellen Aufwertung dieser Arbeiten kommen. Dasselbe trifft für jene Berufsgruppen zu, die Österreich in der Krise am Laufen gehalten haben, von landwirtschaftlichen Betrieben und Supermarktkassiererinnen über kommunale Dienstleistungen bis hin zu Post- und Paketzustellern.

Gehypten Geschäftsfeldern wie Airbnb wurde hingegen größtenteils die Geschäftsgrundlage entzogen. Es ist zu hoffen, dass all diese ungenutzten Wohnungen wieder den Einwohner in Wien, Berlin, Lissabon oder Barcelona zugutekommen. Ein Immer-größer, ein Immer-mehr muss einer Lebens- und Arbeitsweise weichen, die sowohl die planetaren Grenzen als auch die Prinzipien einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft einhält.

Die richtige "Reset"-Tastebei der Wirtschaft drücken

Vieles ist durch die Corona-Krise Realität geworden, was man zuvor für nicht möglich gehalten hätte: Ein starker ordnungspolitischer Staat regiert mittels Ver- und Geboten. Allerdings wurden auch grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. Eine allgemeine Entschleunigung hat eingesetzt. Wie kann man dafür sorgen, dass wir nach dem Ende der Krise unsere demokratischen Rechte zurückerhalten, dabei aber nicht zum bisherigen, umwelt- und klimaschädlichen Business as usual zurückkehren? Wie kann man das "Nachholen" von Konsum, Reisen etc. in ökologische sowie sozialverträgliche Bahnen lenken? Es gilt zu vermeiden, dass es nach der Krise genauso wie vor der Krise wird.

Es bedarf grundlegender Anstrengungen und Zusammenarbeit von progressiven Parteien, Gewerkschaften, NGOs, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, damit die "richtigen" Lehren aus der Corona-Krise gezogen werden. So müssen wir in Zeiten von Gesundheits-, Klima- und Biodiversitätskrise diskutieren, welche Wirtschaftsbranchen, Arbeiten und Berufe gesellschaftlich erwünscht und nützlich sind. Es kann doch nicht sein, dass mit dem Geld der Steuerzahler Unternehmen auf die Beine geholfen wird, die Beschäftigtenrechte mit Füßen treten, hierzulande keine Steuern zahlen oder rasch noch ihre Aktionäre mit Dividendenausschüttungen bedient haben! Um tatsächlich Arbeitsplätze und betriebliche Aktivitäten in gesellschaftlich erwünschten Sektoren zu etablieren, kann es notwendig und gut sein, bisherige "fossile" Unternehmen zu vergesellschaften und dadurch eine gezielte Konversion durchzuführen. So bedurfte es des Drucks der US-Regierung, dass General Motors nun Produkte erzeugt, die nützlicher als SUVs sind: Beatmungsgeräte.

Dasselbe trifft auch für Investitionen in die Infrastruktur zu, die über die nächsten Jahrzehnte wirksam sein werden. Daher müssen alle neu gebauten Infrastrukturen mit den Klimaschutzzielen vereinbar sein. Für den Verkehrssektor bedeutet dies: Schienenausbau statt dritter Piste, Rad- und Gehwege statt Autobahnen, belebte Ortskerne statt Fachmarktzentren am Kreisverkehr auf der grünen Wiese.

Die derzeitige Kurzarbeit sollte zur allgemein erwünschten Arbeitszeitverkürzung werden. Seit 1975 - also seit fast einem halben Jahrhundert - ist die Normalarbeitszeit in Österreich unverändert bei 40 Stunden festgelegt. Damit verbunden müssten neue Formen des Wirtschaftens angewandt werden, wie zum Beispiel Tauschbörsen, Nachbarschaftshilfe, Lebensmittelkooperativen, Floh- und Reparaturmärkte statt Elektromärkte in Kombination mit einer rigorosen Ausweitung von Werbeverboten.

Auch unser Ernährungssystem müsste zunehmend regionalisiert werden. Österreich hat hier im Vergleich zu anderen Ländern enorme Startvorteile. Jedoch gilt es auch hier in Bodenschutzmaßnahmen zu investieren, für den Humusaufbau zu sorgen, Futtermittelimporte zu reduzieren. Eine Ernährungssouveränität durch eine nahezu 100-prozentige biologische Landwirtschaft ist möglich.

Egalitärere Gesellschaftensind an sich ökologischer

Die schlechte Nachricht ist, dass diese Probleme und notwendigen Veränderungsprozesse komplex und miteinander vernetzt sind. Die gute Nachricht ist: Wir können sie auch gemeinsam lösen - bleibt nur noch die Frage der Finanzierung offen: Wer soll das bezahlen? Der Finanzminister kündigt für die nächsten Jahre einen Sparkurs an. Das würde bedeuten, dass genau jener Sozialstaat, der in Zeiten der Krise das Schlimmste verhindern soll, unter Druck gesetzt wird.

Zur Gegenfinanzierung der derzeitigen Hilfsmaßnahmen bieten sich zwei Richtungen an: Einerseits sollen jene zahlen, denen dies am leichtesten fällt. Zu Weihnachten 2019 analysierte die Arbeiterkammer - basierend auf Daten der Nationalbank - die Ungleichheiten in Österreich. Dabei zeigte sich, dass die reichsten 5 Prozent über 43,1 Prozent des Gesamtvermögens verfügen. Der ärmeren Hälfte der Bevölkerung bleiben gerade einmal 3,6 Prozent des Gesamtvermögens. Das spricht für die Einführung von progressiven Vermögens- und Erbschaftssteuern. Das hätte auch einen weiteren Zusatznutzen: Egalitärere Gesellschaften sind an sich ökologischer, denn wohlhabende Eliten haben stets einen großen ökologischen Fußabdruck - und ihnen wird gerne vom Rest der Bevölkerung nachgeeifert. Weiters wird in ungerechten Gesellschaften generell mehr gearbeitet, und damit werden auch mehr Ressourcen verbraucht. Allerdings müsste die ÖVP hier über ihren ideologischen Schatten springen und gegen ihr eigenes Klientel und ihre Großspender agieren.

Auf der anderen Seite sollte eine sozial-ökologische Steuerreform auf den Weg gebracht werden. Damit könnten ressourcenverbrauchende, umweltschädliche Konsum- und Verhaltensweisen endlich verteuert und damit reduziert werden. Wie lange reden selbst führende Ökonomen schon von der wichtigen Internalisierung externen Kosten für eine funktionierende Marktwirtschaft - wann, wenn nicht jetzt könnte, aufgrund der niedrigen Erdölpreise, die Mineralölsteuer angehoben und das Dieselprivileg abgeschafft werden? Das Dogma des möglichst billigen (Fracht)-Verkehrs ist ohnehin nicht mehr aufrecht zu erhalten. Damit der Flugverkehr nicht mehr auf das Vorkrisenniveau ansteigt, müsste die Flugticketabgabe drastisch erhöht werden. Die von der Regierung geplante Nivellierung auf 15 Euro ist nett, aber nicht ausreichend. Der Kauf von Lebensmitteln aus Massentierhaltung und Massendüngung muss die damit verbundene Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft im Preis beinhalten.

Wir haben lange auf die falschen Pferde gesetzt. Jetzt hätten wir die Chance, diese und nicht nur das Zaumzeug zu wechseln. Grundlegende Veränderungen benötigen nicht unbedingt Revolutionen und eigentlich auch keine Krisen. Aber da wir nun eine Krise haben, sollten wir das Beste und Sinnvollste daraus machen.