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Die Pflegelehre ist bloß alter Wein in neuen Schläuchen

Von Svetlana Geyrhofer

Gastkommentare

Warum das neu erscheinende Modell einen Rückschritt ins vorige Jahrhundert bedeutet.


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Aufgrund der akuten Personalnot in den Pflegeberufen wird zunehmend der Ruf nach einer Pflegelehre laut, mit dem Ziel, den Personalbedarf in den nächsten Jahrzehnten abzudecken. Mit der Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes 2016 wurde die Ausbildung der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger akademisiert und gleichzeitig eine neue Berufsgruppe - die Pflegefachassistenz - geschaffen.

Während viele die Akademisierung als einen längst notwendigen Schritt befürworteten, gab es auch kritische Stimmen, die meinten, für die Pflege kranker Menschen bräuchte es doch kein Studium. Diesen kritischen Stimmen kommt der Ruf nach einer Pflegelehre gerade recht. Denn unter Pflege werden oft Tätigkeiten verstanden, von denen immer noch die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, das könne doch jede/r, die/der ein Herz habe, und mit der Pflegelehre fänden sich bestimmt genug junge Menschen, die diese Arbeit übernehmen könnten.

Dabei wird übersehen, dass zum einen aufgrund des Geburtenrückgangs zu wenige junge Menschen
da sind und zum anderen Pflege ein Beruf in einem hochsensiblen Bereich ist. Es braucht ein hohes Maß an Wissen sowohl im medizinischen als auch im pflegerischen Bereich, eine hohe soziale Kompetenz und eine entsprechende Reife (Lebenserfahrung), um mit kranken Menschen professionell arbeiten zu können.

Lehrberufe sind im Berufsausbildungsgesetz, Pflegeberufe im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geregelt. Lehrberufe unterliegen den Bestimmungen der Gewerbeordnung, Pflegeberufe nicht. Während Lehrberufe den Wirtschaftsbereich betreffen, unterliegen Pflegeberufe dem Sozialbereich. Um eine Pflegeausbildung tatsächlich wie eine Lehre zu gestalten, müssten Gewerbeordnung, Gesundheits- und Krankenpflege-, Berufsausbildungs- und EU-Gesetz abgeändert werden. Das ist sehr unwahrscheinlich, und das wissen auch jene, die lautstark eine Pflegelehre fordern. Was man wirklich will, ist, alten Wein in neue Schläuche zu gießen.

Bis vor 1997 gab es nach der neunten Schulstufe die Möglichkeit eines Vorbereitungsjahres, welches das zehnte Schuljahr kompensierte. Danach konnten sich die jungen Auszubildenden für die Pflegeausbildung bewerben, durften jedoch erst ab dem 17. Lebensjahr ein Praktikum mit kranken Menschen absolvieren. Nicht wenige hatten dadurch eine Ausbildungsverlängerung, und die Vorpraktika wurden oft in Sekretariaten, Kindergärten oder Küchen absolviert. Genau dieses veraltete Modell, das zu Recht 1997 abgeschafft wurde, soll jetzt als neues Modell mit dem innovativ klingenden Namen "Pflegelehre" verkauft werden. Es ist somit ein Schritt zurück ins vorige Jahrhundert. Das hat mit einer klassischen Lehre nichts zu tun und ist eine Irreführung.

Anstatt in sinnvolle Maßnahmen wie zum Beispiel die Attraktivierung des Pflegeberufes zu investieren, soll nach Möglichkeit alles beim Alten bleiben, ja mehr noch: Das Alte soll wiederauferstehen und als Pflegelehre neu verkauft werden. Für manche mag das eine Option sein - ein Modell gegen die Personalnot in der Zukunft ist es wohl eher nicht.

Svetlana Geyrhofer ist
Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin,

Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege,

Präsidentin der Gesellschaft für Schmerzmanagement der Gesundheits- und Krankenpflege sowie Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft.