)
Die leichte Erhöhung des Pflegegelds um wenige Euro ist für die Pflegebedürftigen ein Hohn. Zudem wird der Berufsstand angesichts einer geringen Verweildauer der Pflegekräfte alle sechs Jahre neu ausgebildet - ein hohes Maß an Ineffizienz.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober plant eine Pflegereform. Der groß angelegte Beteiligungsprozess über die Gesundheit Österreich GmbH wurde mit mehr als 3.300 ausgefüllten Fragebögen über die Zukunft der Pflege als Erfolg verkauft. Demgegenüber stehen in Österreich 464.982 Pflegegeldbezieherinnen (Männer mitgemeint, knapp zwei Drittel sind Frauen), die entweder von Angehörigen, in Pflegeheimen oder von mobilen Diensten versorgt werden.
Mit September 2019 wurden rund 180.000 Personen im Gesundheitsberuferegister erfasst. Davon arbeiten 127.000 (Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege-, Assistenz- und Betreuungspersonal) in der stationären (Krankenhaus) sowie teilstationären Pflege (Tageszentrum) als auch in der mobilen Hauskrankenpflege und Langzeitpflege (Pflegeheim). Damit ergibt sich eine Differenz von 53.000 registrierten Arbeitskräften, die jedoch in der derzeitigen Pflegelandschaft nicht aufscheinen.
Zugleich wird laut über die Zuwanderung von Pflege- und Betreuungspersonal aus Drittstaaten nachgedacht, da man den Bedarf aus eigenem Ermessen nicht decken kann. Eine genaue Analyse über den Verbleib der 53.000 ausgebildeten Fachkräfte gibt es nicht. Die letzte EU-weite Studie aus dem Jahr 2005 über den vorzeitigen Berufsausstieg von Krankenschwestern wurde seither nie wieder aktualisiert.
An den damals vorliegenden Forschungsergebnissen hat sich auch nach 15 Jahren nichts geändert. Im Gegenteil: Die Pflegekosten explodieren seit der Abschaffung des Pflegeregresses. Eine langfristige Finanzierung ist bis heute nicht gesichert. Alte Menschen sind als Pflegefälle keine Wählerstimmen mehr, jene, die sich professionell um sie kümmern, haben ebenfalls kaum ein Wahlrecht. Häufig sind dies Migrantinnen (der zweiten oder dritten Generation) und Flüchtlinge, nicht selten auch Tagespendlerinnen aus den osteuropäischen Nachbarländern, von den 24-Stunden-Betreuerinnen in Privathaushalten ganz zu schweigen.
Die Pflege ist in Österreich schon privatisiert
Privathaushalte und die vielen betreuenden beziehungsweise pflegenden Angehörigen sind aus Überforderung oft verstummt und politisch nicht repräsentativ. Wer in einem stationären Pflegeheim wohnt, ist gut versorgt. Trotzdem haben viele Angst davor, ihren Lebensabend dort verbringen zu müssen. Vor den Kosten muss man sich nicht scheuen, seit der Pflegeregress bundesweit abgeschafft wurde. Nun trägt die Gesellschaft die anfallenden Kosten, die sich aus der Differenz von Einkommen (Regelpension plus Pflegegeld) und Realkosten ergeben. Diese belaufen sich auf gut 4.000 Euro im Monat (nach oben offen) - ein Betrag, über den kaum ein Pensionist und noch weniger eine Pensionistin verfügt.
Deswegen ist das Pflegegeld für die Pflegebedürftigen so wichtig, aber auch dieses ist nur ein symbolischer Beitrag dafür, was Pflege wirklich kostet. Die leichte Erhöhung um wenige Euro ist für die Pflegebedürftigen ein Hohn, denn die Ausgaben sind im Pflegefall exorbitant. Eine Packung Pants (Inkontinenzeinlagen in Höschenform) kostet 10 Euro, enthalten sind darin neun Stück, Betroffene brauchen bei totaler Inkontinenz drei bis fünf Stück täglich. Die Pflegegelderhöhung auf Stufe 1 betrug zuletzt gerade einmal 3 Euro.
Unterschiedliche Preise für ein und dieselbe Leistung
Eine Stunde Heimhilfe kostet in Wien 33 Euro (mobiler Dienst) oder 35 Euro (Fonds Soziales Wien - FSW), bei einer diplomierten Pflegekraft (DGKP) ist die Differenz noch höher: 46 Euro (mobiler Dienst) gegenüber 63 Euro (FSW). In der Steiermark werden die mobilen Dienste mittels Normkostensatz finanziert, diese sind auf der Homepage der Landesregierung öffentlich einsehbar, diesbezügliche Transparenz fehlt in Wien. In Salzburg wird das Maximum der erforderlichen Eigenleistung für die Inanspruchnahme bei mobilen Diensten ausgeschildert. In Niederösterreich werden für eine DGKP-Stunde 57 Euro bezahlt, für eine Heimhilfestunde 38 Euro. Warum so unterschiedliche Preise für ein und dieselbe Leistung?
Die vom Gesundheitsminister beabsichtigte Harmonisierung bezüglich Pflegedienstleistungen ist höchst notwendig, damit sich Pflegebedürftige einer notwendigen und verlässlichen Unterstützung in ganz Österreich sicher sein können. Eine Freiberuflichkeit für Pflegekräfte ist im Gesetz für Gesundheits- und Krankenpflege zwar ausdrücklich festgeschrieben, ein Verrechnungspartner fehlt allerdings und zwingt die Betroffenen, mögliche Dienstleistungen privat zu bezahlen.
Bedauerlicherweise werden aufgrund des über die Jahre immer gravierender werdenden Personalmangels diplomierte Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen auch für Heimhilfe- und Assistenztätigkeiten herangezogen, was mit ein Grund sein könnte, warum das mittlerweile auf Fachhochschulen ausgebildete Personal in Pflegeheimen und mobilen Diensten kaum zu finden ist, weil für falsche Tätigkeiten eingesetzt. Die unterschiedlichen Kollektivverträge für Pflege- und Sozialberufe machen es möglich, dass eine Beschäftigung in der Langzeitpflege, in den mobilen Diensten oder in Privatspitälern deutlich schlechter honoriert wird als in öffentlichen Einrichtungen.
Oft wird bei der Inanspruchnahme von professioneller Pflege mit den Kosten argumentiert, die man sich nicht leisten kann. Dann sind es wieder mangelnde Sprachkenntnisse der Pflegekräfte oder dass man sich auf nichts und niemand verlassen kann, weil diese dann trotz fixierter Zeit immer irgendwann kommen und es keine klaren Zeiteinheiten oder zu häufig wechselndes Personal gibt. Die sogenannte Wahlfreiheit der Kundin bei der Wahl der mobilen Dienste ermöglicht, dass zum Beispiel in einem Wohnhaus fünf Pflegebedürftige über mobile Dienste versorgt werden, doch jeder von einem anderen, was bedingt, dass Mitarbeiterinnen unterschiedlicher mobiler Dienste den ganzen Tag quer durch Wien unterwegs sind und Wegzeiten nicht adäquat verrechnet werden.
In die professionelle Pflege wird man investieren müssen
Es gibt ein Problem im Pflegebereich, das derzeit politisch nur bezüglich Personalmangel und Harmonisierung von Pflegeleistungen angesprochen wird, wiewohl der Gesundheitsminister ambitioniert an einer Pflegereform interessiert ist. Der "Masterplan Pflege" wurde vom jetzigen Bundeskanzler seit 2018 nicht vorgelegt. In die professionelle Pflege - vor allem zu Hause - wird man investieren müssen. Derzeit sind eher Einsparungsmaßnahmen mittels Pflegelotsen angedacht.
Verstärkter Einsatz von rasch ausgebildetem Personal oder auch Zuzug aus dem Ausland soll das Problem lösen, weil man es über die Jahre verabsäumt hat, in hochqualifizierte Ausbildung in der Pflege zu investieren. Die geringe Verweildauer im Pflegeberuf wird seit Jahren konstant mit sechs Jahren angegeben, weil die Arbeitsbedingungen hart und die Entlohnung zu gering sind, das heißt, dass der Berufsstand alle sechs Jahre neu ausgebildet wird - ein hohes Maß an Ineffizienz. Fluktuationsraten in Pflegeeinrichtungen (stationär und mobil) werden bis dato nicht als Qualitätsmerkmal in Audits überprüft. Was selten gesagt, aber immer mehr gedacht wird: Weg mit den Alten, denn die fressen uns den Kuchen weg.
Für eine Pflege mit Würdefehlen Zeit und Geld
Angesichts nicht durchgesetzter Pensionsreformen für eine langfristige Alterssicherung für Frauen und Männer werden die Jungen immer mehr den Eindruck gewinnen, die Verlierer in dieser Gesellschaft zu sein, obwohl sie das Gewicht der gesamten alternden Gesellschaft tragen - ohne eine Garantie, dass auch sie einmal würdevoll gepflegt werden. Genauso wie die Alten, die bereits jetzt nicht mehr würdig versorgt werden können, weil minutengenaue Abrechnungsmodi die Pflege bestimmen und nicht die notwendige Pflegequalität, die auch Gesprächsführung, Lebensqualität und Aufmerksamkeit des Pflegebedürftigen inkludiert - Qualitäten, für die es keinen Verrechnungsposten gibt.
Wohin driftet diese Gesellschaft? Was braucht es wirklich, um den Jungen Zukunft, Ausbildung und Berufschancen zu ermöglichen, zugleich aber den Alten einen würdigen Lebensabend zu gönnen, ohne die Pflege komplett auszulagern, und die Professionalität des Berufsstandes endlich finanziell und strukturell anzuerkennen? Was braucht es, wenn wir als Gesellschaft gemeinsam überleben wollen?