Zum Hauptinhalt springen

Die Piratenpartei droht im Superwahljahr zu kentern

Von Alexander Dworzak

Analysen

Inhaltsleere, kein Esprit mehr - und Protest kann die Linkspartei besser.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Erfrischend anders, wie ein lang ersehntes neues Getränk auf dem Markt, war die Piratenpartei anfangs: Funktionäre gestanden offenherzig ihre Ahnungslosigkeit ein, während Vertreter anderer Parteien sinnentleerte Phrasen droschen. Und dem Klischeebild von Nerds entsprechende Informatiker bildeten ein wohltuendes optisches Kontrastprogramm zu biederen Anzugträgern. Selbst wenn die Wähler nicht genau über die Inhaltsstoffe - also das Programm - Bescheid wussten, honorierten sie den unkonventionellen Zugang der Freibeuter. Acht Monate dauerte der Siegeszug an, führte zum souveränen Einzug in die Landtage von Berlin 2011 sowie Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein bis zum vergangenen Mai. Danach begann das Piraten-Gebräu schal zu schmecken.

Bei kümmerlichen drei Prozent steht die Gruppierung laut Umfragen heute sowohl in Niedersachsen, das am 20. Jänner wählt, als auch bundesweit, wo die Wähler im September zu den Urnen schreiten. Ein rasanter Abstieg: Noch im Mai 2012 kamen die Piraten auf den vierfachen Wert und ritterten mit den Grünen um Platz drei hinter CDU und SPD.

Warum der Liebesentzug? Die Piraten haben sich inhaltlich nicht weiterentwickelt. Pochen auf Transparenz reicht nicht mehr in Zeiten von Eurokrise und Energiewende. Anstatt neue Konzepte zu erarbeiten, plagten sich die Piraten mit Gender-Debatten und distanzierten sich viel zu spät vom Rechtsextremismus in den eigenen Reihen - all das vor den Augen der Öffentlichkeit.

Quälend lange Debatten

Der inhaltliche Stillstand geht mit den vermeintlich zukunftsweisenden Parteistrukturen einher. "Schwarmintelligenz" und das Online-Zauberinstrument "Liquid Feedback" sollten jedem Interessenten die Teilnahme am politischen Prozess ermöglichen. Heraus kamen quälend lange Debatten um wenig Substanzielles. Selbst Piratenboss Bernd Schlömer gestand nach dem Parteitag im November ein: "Wir haben die Trendwende nicht geschafft."

Der Parteivorsitzende wirkt bemüht, aber erschöpft. Die Leichtigkeit und der Esprit vergangener Tage sind dahin - und die Personaldecke ist trotz 35.000 Mitgliedern dünn. "Selbstdarsteller, Karrieristen und Trolle" tummeln sich laut niedersächsischen Mitgliedern bei den Piraten. Dass sich Nachwuchshoffnung Marina Weisband lieber ihrem Studium als einer Bundestags-Kandidatur widmet, ist bezeichnend. Niemand möchte in der ersten Reihe einer Partei stehen, deren Mitglieder alles andere als pfleglich miteinander umgehen; gegenseitige Beschimpfungen via Kurznachrichtendienst Twitter inklusive.

Auch um Parteifinanzen und Wahlkampforganisation steht es schlecht. Lediglich die Hälfte der Mitglieder zahlt angeblich ihre Beiträge, nur 100.000 Euro stehen pro Monat zur Verfügung. Schwierige Voraussetzungen für die bevorstehenden Wahlkämpfe.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Hauptkonkurrentin der Piraten beim Stimmenfang um Protestwähler aus dem Umfragetief erholt. Die Linkspartei gewinnt im Windschatten des SPD-Wahlkampfthemas Gerechtigkeit an Fahrt und liegt landesweit bei sieben Prozent. Trotz Internetaffinität sind sie Freibeuter nicht die Partei der Eliten, sondern werden überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosen gewählt; die Modernisierungsverlierer strömen nun wieder zur Linken. Zurück bleibt ein schlingerndes Piratenschiff, kurz vor dem Kentern.