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Die Pleitegeier kreisen

Von Gerhard Lechner

Politik

Kiew braucht mindestens 10 bis 15 Milliarden Euro, um Bankrott zu vermeiden.


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Kiew/Brüssel. Immerhin, einen Versuch war’s wert - könnte man sich in ukrainischen Regierungskreisen gedacht haben. Das in einer schweren finanziellen und politischen Krise steckende Land am Dnjepr, das derzeit von einer Protestwelle erschüttert wird, forderte am Mittwoch von der EU Hilfskredite von rund 20 Milliarden Euro für einen politischen Kurswechsel. Ministerpräsident Mykola Asarow sagte im TV, "durch das Angebot von finanzieller Unterstützung an die Ukraine" könnte "diese Angelegenheit" gelöst werden - sprich: Das Assoziierungsabkommen mit Brüssel doch noch unterzeichnet werden. Das vorläufige Nein zur Unterschrift unter den Vertrag durch die Regierung hat in Kiew Hunderttausende auf die Straße getrieben.

Die Reaktionen aus der EU folgten prompt - und sie fielen für die Regierung Asarow eher unerfreulich aus: "Mit dieser Forderung scheint die ukrainische Führung von ihrer alleinigen Verantwortung für die aktuelle und politische Lage ablenken zu wollen", sagte Georg Streiter, ein Sprecher der deutschen Regierung. Und die EU-Kommission ließ verlauten, dass das Abkommen fix ausgehandelt sei und der Ukraine "Wohlstand und Investitionen für die Zukunft" biete.

Für die Zukunft - eben das ist das Problem der ukrainischen Regierung. Die Führung des Landes rund um Präsident Wiktor Janukowitsch braucht jede Unterstützung, allerdings jetzt, sofort. Rund zehn bis 15 Milliarden Euro wären nötig, um die angeschlagene Ukraine vor dem drohenden Staatsbankrott zu bewahren. Es stehen große Rückzahlungen an, die Regierung muss auch Schulden im Inland bezahlen - beispielsweise ausständige Gehälter oder Stipendien. Und dies alles im Vorwahlkampf: Zu Jahresbeginn 2015 wählen die Ukrainer einen neuen Präsidenten, und Janukowitsch kann es sich nicht leisten, von seinen Wahlversprechen von 2010 - etwa "gerechten Pensionen" - allzu deutlich abzuweichen.

Zudem liegt das Land immer noch im Clinch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF): Neben dem Kreml könnte nur die UN-Sonderorganisation mit Sitz in Washington der Ukraine die benötigten Kredite verschaffen, ohne dass das Land deshalb befürchten müsste, in eine noch stärkere Abhängigkeit zum übermächtigen Nachbarn Russland zu geraten. Allein: Der IWF beharrt darauf, dass Kiew für die Gewährung eines umfangreichen Kredits die Subventionen für Erdgas reduziert. Das würde aber zu höheren Gaspreisen für die Bevölkerung des Landes führen - oft gerade für die finanziell nicht immer besonders gut gestellte Wählerschaft von Janukowitsch.

Land in der Rezession

In dieser Zwangslage helfen der Ukraine die Beteuerungen aus der EU, wonach die Tür zu dem Abkommen weiter offen sei, sich "neue Chancen eröffnen würden", oder die sich aus dem Vertrag ergebenden Reformen dem Land "in schwieriger Lage langfristig helfen", wie sich Streiter ausdrückt, nur wenig - zumal auch der deutsche Regierungssprecher die Ukraine am Mittwoch an ihre Hausaufgaben erinnerte: an die nötige Flexibilisierung des Wechselkurses der ukrainischen Währung Grivna und einen Abbau von Gassubventionen. Immerhin: Als Bonus zu einem IWF-Kredit stellte Streiter dem osteuropäischen Staat eine Makrofinanzhilfe aus Brüssel in der Höhe von 610 Millionen Euro in Aussicht.

Für das klamme Land ist das aber wohl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Ukraine befindet sich de facto seit Mitte 2012 in einer Rezession, auch für 2013 erwarten Beobachter keine Erholung. Die Staatsschulden der Ukraine betragen fast 40 Prozent des BIP - 2007 und 2008 lag die Schuldenquote noch bei 10 bis 20 Prozent. Der für die ukrainische Exportwirtschaft sehr wichtige Stahlsektor kämpft derzeit mit extrem niedrigen Preisen, der Maschinenbau kränkelt, immer mehr Auslandsinvestoren ziehen sich aus der Ukraine zurück. Vor allem westliche Banken: Der Marktanteil der nicht russischen Auslandsbanken ist von 2008 bis 2013 von etwa 40 auf 17 Prozent gesunken.

Und die Proteste auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, tragen auch nicht gerade zur Beruhigung der wirtschaftlichen Lage bei: Anleger zeigen sich nervös und fürchten den Zahlungsausfall der Ukraine. Am Markt für Kreditausfallsversicherungen, die sogenannten Credit Default Swaps (CDS), verteuerte sich am Dienstag die Absicherung eines 10 Millionen US-Dollar schweren Pakets ukrainischer Anleihen gegen Zahlungsausfall um 38.000 auf 1,155 Millionen US-Dollar. Das ist der höchste Stand seit vier Jahren, also seit 2009, als das Land in der tiefsten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit 1991 steckte. Auch die ukrainische Währung Grivna setzte zuletzt ihre Talfahrt fort. Der US-Dollar war 2009 zuletzt so teuer wie jetzt.

Ashton "tief enttäuscht"

Die ukrainische Führung setzte unterdessen ihre Schaukelpolitik fort und schickte eine Delegation nach Brüssel, eine nach Moskau. Vizepremier Serhij Arbusow trifft am heutigen Donnerstag EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle, um über das auf Eis gelegte Abkommen zu sprechen. Am Mittwoch traf EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Kiew Janukowitsch. Wie zahlreiche Politiker aus dem Westen besuchte auch Ashton den Maidan besucht und sich über das Vorgehen der Sicherheitskräfte "tief enttäuscht" gezeigt.

Laut Wirtschaftskammer (WKÖ) macht das bilaterale Handelsvolumen zwischen Österreich und der Ukraine ca. 1,5 Milliarden Euro aus. Österreichische Unternehmen investieren demnach bisher rund 3,3 Milliarden Euro und gehörten mit einem Anteil von sechs Prozent aller ausländischen Investitionen zu den größten Investoren in der Ukraine. Was viele österreichischen Unternehmer abschreckt, ist die beträchtliche Korruption in der ex-sowjetischen Teilrepublik. Den größten Teil der österreichischen Investitionen machen der Finanz- und Dienstleistungssektor aus. Aktiv sind die Erste Bank und Versicherungen wie Uniqa oder die Vienna Insurance Group. Im Bereich Landwirtschaft pressen die Konzerne Pfanner und Agrana aus ukrainischem Obst Fruchtsaftkonzentrate. Die Voestalpine hat zuletzt Anteile an der Intertrading an die Luxemburger Calexco S.a.r.l. des ukrainischen Oligarchen Kostyantin Zhevago abgestoßen.