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Die Politik braucht mehr Romantik

Von Daniel Witzeling

Gastkommentare
Daniel Witzeling ist Psychologe und Sozialforscher. Er leitet das Humaninstitut Vienna.

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Die Politik buhlt mit mehr oder weniger kreativ und differenziert um die Gunst der Wähler. Doch es fehlt sehr oft am nötigen Fingerspitzengefühl und Niveau, um eine wahre Wirkung beim Wähler zu erzielen. Ähnlich wie beim Umwerben eines ersehnten Partners, wo es Feingefühl und erotisches Knistern braucht, das nicht künstlich erzeugt werden kann, geht es auch in der Politik um den richtigen Balztanz mit potenzielle Wähler. Je primitiver dieser ist, desto weniger fühlen sich Wähler angesprochen oder im Gegenteil sogar abgestoßen. An Feinfühligkeit mangelt es allerdings bei den meisten Parteien.

Einige sind im Streit mit der eigenen Jugend nur auf den Erhalt ihrer Macht bedacht. Andere wollen Fehler der Vergangenheit mit Pizza wiedergutmachen, markieren mit vorgetäuschten Muskeln, härterem Profil und strikterer Gangart, die sie nicht haben, den starken Mann oder probieren es mit einer neuen Optik in Form einer intellektuell wirkenden Brille für eine - im Kontrast zu radikaleren Zeiten - kultiviertere Aura.

Dabei sind die Bürger in ihrer politischen Partnerwahl selten simpel strukturiert. Einfache Anmachversuche werden vielleicht anfangs noch toleriert, doch über kurz oder lang trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer also nicht auf einen politischen One-Night-Stand steht, geht auf primitive Annäherungsversuche nicht ein.

Politik ist eine gekonnte Mischung aus Emotion und sachlichen, für die Zielgruppe relevanten Argumenten. Reine Showeffekte sind zu wenig und werden rasch durchschaut, wenn nicht eine gewisse politische Substanz vorhanden ist. Kann eine Partei dann nichts mehr nachliefern, stinkt sie nach dem kurzen Vorspiel mit dem Bürger im Hauptakt schnell ab, und es kommt zu keinem Höhepunkt im Sinne eines Kreuzes am Wahltag. Wahlkämpfe sind zum Teil so einfach und durchschaubar, dass es wenig verwundert, dass sich immer mehr Bürger für ein politisches Singledasein als Nichtwähler entscheiden, und zwar potenzielle Sympathisanten aller Parteien.

Die Maßnahmen und Strategien der Spindoktoren und Spitzenkandidaten sind so wenig attraktiv, dass viele Menschen sich zu Recht von der Politik abwenden und ihre kostbare Zeit mit anderen Dingen verbringen. Dabei wäre es so einfach: Statt sich mit Gewalt auf das Gewinnen von Wählerstimmen und Zielgruppen mit der damit verbundenen Sozialtechnik zu fixieren, könnte man sich auf die eigene Gefühlswelt konzentrieren und nach einer Reflexionsphase mit einem ehrlichen und nicht berechnenden Angebot auf die Menschen zugehen.

Charisma ist die Fähigkeit, selbst stark empfundene Gefühle auch bei anderen zu erzeugen. Das ist dann auch authentisch. Man sollte sich erst über die eigene Gefühlswelt im Klaren sein und nicht bloß eine aufgesetzte Strategie anwenden. Grundsätzlich ist gegen den "Quick and Dirty"-Ansatz nichts zu sagen - vorausgesetzt, beide Seiten wissen, worauf sie sich einlassen. Nur: Wer sich jedem anbiedert, verliert schnell an Reiz und Attraktivität. Für langfristige Beziehungen zu den Bürgern reichen einfache Parolen und Überschriften nicht. Es bedarf nachhaltiger Beziehungsarbeit und gemeinsamer Werte. Am Ende geht es nicht um Attraktivität, sondern um tiefgreifende Gemeinsamkeiten und Vertrauen.