Restaurantbesuche und Kampagne gegen Korruption heben Xis Popularität.
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Peking. Es ist noch nicht einmal Mittag an einem ganz gewöhnlichen Wochentag im Westen von Peking, und die Belegschaft der Qingfeng-Filiale an der Fuchengmeng-Straße hängt bereits in den Seilen. "Mindestens 60 Minuten Wartezeit bis zur Annahme der Bestellung, in 90 Minuten wird frühestens ein Tisch frei", schnarrt eine Kellnerin beim Eintreten neuer Gäste mechanisch, man merkt ihr an, dass sie in Übung ist.
Es kommen nämlich viele Kunden dieser Tage. Sie reihen sich ein in eine Schlange, die vom Verkaufstresen gut 30 Meter weit zurückreicht, nehmen interessiert das Plastikgeschirr unter die Lupe und fotografieren jedes noch so unwichtige Detail des etwas schmuddeligen Imbisslokals. Vor allem aber machen sie Bilder von sich selbst, erheben die Finger zum Victory-Zeichen und posieren vor dem Restaurant, wo im Hintergrund diskret ein Wagen der Polizei parkt. Die Verkäufer an den Kassen fragen indessen schon gar nicht mehr, was ihre Kunden zu essen gedenken; sie wollen ausnahmslos dasselbe: sechs gedämpfte Teigtaschen gefüllt mit Schweinehackfleisch und Frühlingszwiebeln, einen Teller mit angebratenen Senfblättern und dazu Eintopf mit Schweineleber und Innereien. Das "Präsidenten-Menü" eben.
Seitdem der chinesische Staatspräsident Xi Jinping Ende Dezember zwischen einer Kraftwerkinspektion und einer Altersheimvisite plötzlich in diesem populären Kettenrestaurant auftauchte und die genannten Gerichte bestellte, gehen diese weg wie die warmen Semmeln. He Yuanli, der Manager des Lokals, schwankt dementsprechend zwischen Euphorie und zunehmender Genervtheit, als er nach zwei Stunden hektischer Betriebsamkeit endlich Zeit für ein paar Worte findet: "Es ist völlig unglaublich, wir haben unsere Mannschaft bereits verdoppeln müssen, um den Ansturm zu bewältigen. Demnächst werde ich auch einen Pressesprecher einstellen, weil alle wissen wollen, was und wie Präsident Xi bei uns gespeist hat."
Der war halt eben auf einmal da, ganz spontan und völlig ohne Vorankündigung, wie He versichert. Er habe sich in die Warteschlange eingereiht wie ein ganz normaler Gast und mit seinem eigenen Geld bezahlt, gezählte 21 Yuan, umgerechnet 2,50 Euro. Dann habe der mächtigste Mann Chinas sein Tablett eigenhändig zu einem Tisch getragen und beim Essen ein wenig mit den anderen Gästen geplaudert, in erster Linie über Lebensmittelsicherheit. Dann noch schnell ein paar Handybilder mit den anwesenden Kindern, und weg war er.
Dass Xi Jinping tatsächlich spontan Gusto auf gedämpfte Teigtaschen hatte und sich ungezwungen unters Volk mischen wollte, darf bezweifelt werden. In China werden Politikerauftritte in der Regel sorgfältig durchorchestriert, dem Zufall wird dabei nichts überlassen.
Xi unterscheidet sich vom unnahbaren Vorgänger Hu
Die Volksregierung habe Angst vor dem Volk, witzeln die Chinesen mitunter, und tatsächlich lassen sich deren Vertreter nur selten außerhalb der Mauern ihres Regierungsviertels Zhongnanhai blicken. Tun sie es doch, werden Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die teilweise ins Absurde abgleiten. Bisheriges Meisterstück chinesischer Sicherheitsparanoia war jener Parteitag 2012, als der Generationenwechsel an der Staats- und Parteispitze vollzogen wurde: Damals mussten unter anderem alle Taxis ihre Fensterkurbeln abmontieren, damit niemand "Tischtennisbälle mit anstößigen Botschaften" aus dem Fenster werfen könne. Dass der neue Präsident nun unter kaum sichtbarem Personenschutz in einem ordinären Gassenlokal sein Mittagessen einnimmt, hat daher Signalwirkung.
So sieht Politologe Yang Guangbin von der Renmin Universität in Peking den Restaurantbesuch als Teil einer PR-Kampagne, bei der es darum geht, Xi als bescheidenen Mann des Volkes zu inszenieren. Es sei nicht das erste Mal, dass der Präsident Bodennähe demonstriere, was ihn deutlich von seinem steifen und unnahbaren Vorgänger Hu Jintao unterscheide. Vor allem aber unterstreiche die Aktion noch einmal die laufende Anti-Korruptions-Kampagne: "Die meisten Politiker, selbst die auf Gemeindeebene, würden nicht einmal im Traum daran denken, so ein gewöhnliches Restaurant zu besuchen. Indem Xi auch noch mit seinem eigenen Geld bezahlt hat, geht er mit gutem Beispiel voran und setzt ein Zeichen."
In der Tat würde man für 21 Yuan in den meisten für Parteianlässe ausgewählten Etablissements nicht einmal ein Glas Wasser bekommen. Um zumindest die größten Exzesse seiner Parteikollegen einzudämmen, hat Xi die Devise "Vier Gerichte, eine Suppe" ausgegeben und teure Delikatessen wie Haifischflossensuppe und Schwalbennester bei offiziellen KP-Empfängen streichen lassen. Der Handel mit diesen Produkten brach daraufhin um 70 Prozent ein, dafür beklatschten Umweltaktivisten diesen unerwarteten Beitrag zum Artenschutz.
Beim Volk beliebt macht sich der neue Parteichef vor allem mit seiner Anti-Korruptionskampagne, der in der Zeit von Januar bis Dezember 2013 bislang 108.000 Funktionäre zum Opfer gefallen sind. Gegen 16 hohe Funktionäre mit Ministerrang wurden Verfahren eingeleitet. Derartige Maßnahmen sind zwar nichts Neues und ein erprobtes Mittel frisch angetretener Führungskräfte, diesmal soll die Aktion jedoch länger dauern und mehr höhere Kader treffen.
Professor Yang räumt ein, dass Xi überaus populistisch agiere und Aktionen wie das Teigtaschenessen eher Show seien, aber: "Die Leute sehen so etwas gerne." Vor der Popularität des Präsidenten musste schließlich auch Qingfeng-Restaurantleiter He Yuanli kapitulieren: "Wir haben den Tisch entfernt, an dem Xi gesessen ist, da einige Kunden begonnen haben, sich um den Platz zu raufen." Wo der Tisch jetzt sei, verrät er nicht. Staatsgeheimnis.