)
Bundespräsidentenwahl entfacht wenig Emotionen. | Politik, die keinen Nutzen bringt, wird nicht registriert. | "Wiener Zeitung": In einer Fernsehdiskussion mit Bundespräsident Heinz Fischer konnten Jugendliche weder sagen, wer am 25. April gewählt wird, noch erkannten sie den amtierenden Bundespräsidenten auf einem gezeigten Bild wieder oder konnten ihm eine richtige Aussage zuordnen. Wie desinteressiert sind Jugendliche wirklich? | Bernhard Heinzlmaier: Mich überrascht das nicht so sehr. Das gestörte Verhältnis zwischen Politik und Jugend basiert auf Gegenseitigkeit. Die Politiker interessieren sich nicht für die Jugend, die Jugendlichen interessieren sich nicht für Politik.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung":In einer Fernsehdiskussion mit Bundespräsident Heinz Fischer konnten Jugendliche weder sagen, wer am 25. April gewählt wird, noch erkannten sie den amtierenden Bundespräsidenten auf einem gezeigten Bild wieder oder konnten ihm eine richtige Aussage zuordnen. Wie desinteressiert sind Jugendliche wirklich?Bernhard Heinzlmaier: Mich überrascht das nicht so sehr. Das gestörte Verhältnis zwischen Politik und Jugend basiert auf Gegenseitigkeit. Die Politiker interessieren sich nicht für die Jugend, die Jugendlichen interessieren sich nicht für Politik. Colin Crouch hat das in seinem Buch "Postdemokratie" beschrieben: Die moderne Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein geschlossenes System ist. Politiker holen sich ihre Informationen nicht von den Menschen, sondern von Politikberatern. Es ist ein System, das sich in sich selbst bewegt und den Kontakt zum Bürger verloren hat.
Die Jugendlichen haben das Gefühl, dass sich nichts ändert, ob sie sich dafür interessieren oder nicht. Das zeigen auch unsere Studien. Daher lassen sie es gleich bleiben. Politik hat nichts mit der Lebensrealität der Jugendlichen zu tun: Sie bietet ihnen keinen besseren Arbeitsplatz, keine bessere Ausbildung, keinen besseren Studienplatz.
Ist gerade die Bundespräsidentenwahl schwer vermittelbar?
Ja, die Bundespräsidentenwahl ist eine untypische Wahl. Sie entfacht wenig Emotionen und hat einen geringen mobilisierenden Effekt. Jugendliche haben mit Repräsentationsaufgaben nichts am Hut. Wenn ich nicht weiß, wofür der Bundespräsident gut ist, warum sollte ich mich dafür interessieren - so ticken die Jungen nun einmal. In Weiterbildungsveranstaltungen mit Lehrlingen habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass diese zumindest die Parteivorsitzenden kennen.
Kann man Versäumnisse festmachen? Versagt das Elternhaus, versagt die Schule, versagt das Fach politische Bildung bei der Politikvermittlung?
Mit der politischen Bildung kommt man nicht weiter, weil sie wie Werbung für Politik daherkommt. Nichts bringt ein schlechtes Produkt so schnell um wie eine gute Werbung. Die Schüler sehen sich diese Politik dann genauer an und befinden, dass sie nicht super ist.
Was kann man gegen diese Politikverdrossenheit tun?
Die Politik muss sich reformieren. Andere Personen, andere Programme sind gefragt. Weniger Eigennutz, mehr Idealismus sind das, was fehlt. Kein Mensch - weder Eltern, noch Schule, noch Medien - kann Jugendliche von einer Politik überzeugen, wie sie sich derzeit darstellt.
War es richtig, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken?
Das war sinnvoll und ein richtiges Signal: Wir sind offen für Demokratie. 16-Jährige sind von ihrem Bewusstsein her genauso weit wie 20-Jährige. Und im Übrigen ist nicht sicher, ob nicht auch 40-Jährige wenig Politikverständnis haben. Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass 70 Prozent der Jungwähler zur Wahl gehen - diese Reform ist also angenommen worden.
Hat sich in den vergangenen Jahren die Jugend so stark gewandelt oder liegt das mangelnde Interesse an den Veränderungen im politischen System?
Natürlich hat sich auch die Jugend gewandelt, aber in erster Linie ist ihre geänderte Einstellung zur Politik auf die Politik selbst zurückzuführen. Die Anspruchshaltung gegenüber der Politik ist höher und unterliegt marktwirtschaftlichen Kriterien. Wenn sich Politik diesem marktwirtschaftlichen Prinzip ("Was habe ich davon?") nicht unterwirft, wird sie nicht wahrgenommen. Das bedeutet, es fehlt ein wählbares Produkt. Ein Produkt, das interessant und spannend ist, mit dem man sich identifizieren kann, das Nutzen verspricht.
Die Lösung liegt also in einer Änderung der Politik?
Man kann die Menschen nicht ändern, man muss die Politik ändern. Politiker können nicht sagen: "Keiner wählt mich, daher muss ich die Menschen bilden." Das ist zynisch. Das falsche Produkt wird nicht gekauft.
Zur PersonBernhard Heinzlmaier (50) ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien. Hauptberuflich leitet er seit 2000 die tfactory-Trendagentur in Hamburg. Daneben hat er mehrere universitäre Lehraufträge.
Siehe auch:Analyse: Jugend ohne Politik