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"Die Politik überfordert die Politiker"

Von Walter Hämmerle

Politik
Franz Schuh.
© PHILIPP HUTTER +436802015001

Der Essayist und genaue Beobachter Franz Schuh über die Sprache der Politik und die Rolle der Medien.


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Am Montag diskutiert Franz Schuh in der Wienbibliothek im Rathaus über die Grenzen der Sprachvielfalt, die "Wiener Zeitung" traf den Schriftsteller, um mit ihm über das Verhältnis von Sprache und Politik zu diskutieren.

"Wiener Zeitung": Das "profil" hat Sie 2017 als "Querdenker" bezeichnet und dies als Kompliment verstanden. Heute hat der Begriff eine andere, negative Konnotation.

Franz Schuh: "Querdenker" hielt ich schon damals für ein Schimpfwort. Ich nenne mich auch nicht Denker. Das sind so Termini wie das altmodische "Künstler." Nicht zu Unrecht bezeichnet man damit auch Schlagersänger. Jemand, der so etwas macht wie Kunst, würde sich schwerlich Künstler nennen, es sei denn, er hat diese innere Berufung und dieses religiös Demiurgische, wie es Hermann Nitsch hatte. In der Kunst- und Philosophiebranche sind die meisten so etwas wie Techniker geworden, allerdings im Rahmen einer unerschöpflichen Tradition. Nur dann, wenn man eine Ausnahmeerscheinung wie Ludwig Wittgenstein ist, kann man das Denken - scheinbar - neu erfinden. Sogar der Begriff des Philosophen ist eine schamlose Übertreibung für das, was unter diesem Namen beansprucht wird.

Warum also solche Etikettierungen?

Journalisten sind gezwungen, ihre Phrasen zu montieren und Wörter zu finden, die keine Aufmerksamkeit verdienen, sondern diese erst durch die Inszenierung im Artikel erhalten. Und dann erfindet man auftrumpfende Begriffe, die sich über Etikettenmanagement stets auch in ihr Gegenteil umdrehen lassen. Ich bin ein Freund des Wortes "Nachdenken", nicht weil ich übersehen würde, dass Denken genügt, sondern weil durch das Wort deutlich wird, dass der Gedanke immer erst nachher kommt, also einfach gesagt: zu spät.

Wie steht es um die Sprache der Politik? Politiker in verantwortlicher Position vermitteln oft keine klaren Botschaften mehr, sondern verheddern sich in technokratischen Begriffen oder reihen vorgefertigte Satzmodule aneinander.

Die Politiker haben keine andere Sprache als der Rest der sich verhedderten Menschen - der Unterschied ist, dass sie mit Worten politischen Einfluss nehmen wollen. Durch die eingelernte Rhetorik scheint ihre Individualität durch. Wir haben einen Präsidenten des Gewerkschaftsbundes, der sich weigert, auch nur einen deutschen Satz zu formulieren. Ein ausgewiesener Vogelkundler hat dem Gewerkschaftsboss in der Zeitung bescheinigt, der Boss rede, "wie ihm der (Wiener) Schnabel gewachsen ist". Man fällt dem Jargon leicht hinein, wenn man die gestriegelte Rhetorik des Politiker-Mainstreams im Ohr hat. In unserer Gesellschaft ist aber ein Boss ein Boss, also "keiner von uns". Darüber müsste gerade die Rhetorik des Spitzen-Gewerkschaftlers informieren. Aber nein, der sagt: "Da hob‘ i gschaut wie ein Autobus." Ich glaube das einem Gewerkschaftler gern, denn sein Verein ist in Bezug auf das Staunen, angeblich ja der Anfang aller Philosophie, fast schon ein Busbahnhof. Der Boss schmeichelt sich - nolens volens von oben herab - in uns Arbeiter und Angestellte ein.

Funktioniert das?

Entscheidend ist, dass die Leute glauben, dass es funktioniert. Wenn solche Bosse als Sachwalter der Unterschicht auftreten und dabei Damen der oberen Gesellschaft angreifen, dann ist das zu einfach, um die Klassenunterschiede zu bekämpfen. Wenn man diese Unterschiede durch pseudo-proletarisches Sprechen betont, rutscht man unweigerlich in die Unterhaltung, siehe das jüngst in den rhetorischen Betrieb genommene "Heisl" eines SPÖ-Bezirksvorstehers. Bürgermeister Ludwig hat darauf das einzig Richtige getan, indem er wie auf die Wuchtel eines Kabarettisten reagiert hat: Er saß dort und lachte, als er gehört hat, dass seine Gegner "Heisln" seien.

Und was ist mit der darin verpackten Botschaft?

Die Botschaft der Formulierung liegt in der Form. Es gibt auch den Jargon der oberen Klassen. Ex-Kanzler Kurz war darin gar nicht schlecht. Er hatte so eine "Junger Mann aus gutem Haus"-Sprache und ist damit gut angekommen, weil es sich mit seinem attraktiven Slim-fit-Äußeren verband. Jemand, wie der neue Arbeits- und Wirtschaftsminister, der ist durch die akademische Karriere marschiert und hat immer Statistiken vor Augen - und so spricht er auch. Herbert Kickl, die "Dringliche Anfrage" in Person, ist der parlamentarische Jago. Über Jago, eine Figur aus Shakespears "Othello", sagt uns der Schauspielführer: "Er täuscht alle durch gespieltes Mitleid oder geheuchelte Treue, die meisten halten ihn darum auch für höchst ehrlich. Jago ist sich bewusst, dass er unrecht und schändlich handelt, doch zeigt er sich weder dadurch beeindruckt noch bekommt er Zweifel an seinen Taten." Dass Kickl in der Ibiza-Partei groß und stark geworden ist, ficht ihn nicht an. Dieser Jago, der Unrechtsbewusstsein sowieso nicht kennt, ruft im Jargon der bedauernswerten Klientel zu: "Ihr seid im Recht, die anderen haben unrecht."

Welche Rolle hat aus Ihrer Sicht die Rhetorik in der Politik?

Es gibt Rhetorik als Kunst, eine Sache so präzise wie nur möglich darzustellen. Und es gibt Rhetorik als eine Fertigkeit, Menschen etwas einzureden, sie von etwas zu überzeugen, das falsch ist oder das sie nicht wollen. Es kommt nicht darauf an, was die Politiker reden, sondern darauf, was sie unter ihren Sagbarkeiten Unsagbares tun. Mit der sogenannten Sprachkunst und der Werbung hat die Politik die Suche nach dem richtigen Wort gemein, nach dem "mot juste." Ein Beispiel dafür ist Angela Merkel: Hätte sie nicht "Wir schaffen das" gesagt, hätte sie nicht eine Front eröffnet, die man ständig zitieren konnte. "Wir schaffen das" ermöglicht die Polarisierung. Politische Rhetorik heißt: Freund und Feind mobilisieren!

Ähnlich die das "So sind wir nicht" des Bundespräsidenten?

Diese Formulierung funktioniert deshalb nicht, weil sie allzu offenkundig von den Sachverhalten widerlegt wird. "So sind wir nicht" war eine Schutzbehauptung, die genau deshalb so gesagt wurde, weil "wir" so sind. Das durchschaut die Mehrheit, auch wenn sie’s nicht so genau wissen will. Aber es zeigt doch, dass die Politik solche Zauberworte der politischen Wirksamkeit sucht.

Warum findet Politik so selten die politisch wirksamen Worte?

Weil die Politik, wie wir alle, vor allem redet, um ein Geräusch zu erzeugen, und nicht, um etwas mitzuteilen. Mit diesem Geräusch können wir die Widerrede übertönen. Das spielt in der Politik eine riesige Rolle, auch weil man in der Politik nicht alles sagen kann, zumal man ja auch nicht alles, wofür man zuständig ist, weiß. Politik überfordert die Politiker, und mit dieser Überforderung zu leben, ist sicher nicht leicht.

Trotzdem ist es die Grundidee unseres politischen Systems, mit der öffentlichen Rede Mehrheiten zu schaffen und Unterstützung für Projekte zu sammeln. Doch das geschieht zu selten.

Ja, weil es nicht nur darauf ankommt, was die Leute sagen, sondern wie sich dies mit den Möglichkeiten der Verfahrensdemokratie, mit der "Praxis" verbindet - oder sich mit ihr schlägt. Ein glänzender Rhetoriker kommt der "charismatischen" Herrschaftsform, einer veralteten Art der Machtausübung, zu nahe. Der Rechtspopulismus schließt ständig vollmundig an das Unbehagen der Leute an, die sich zu kurz gekommen fühlen. Das sind sie auch in Massen. Daraus entstehen dieser ewige Protest und der Vorwurf, dass "die anderen," "die Politiker", so schrecklich seien . . .

Sagen das nicht alle in der Politik?

Die meisten verhalten sich der Politik gegenüber polemisch. Würden sie das weniger tun, dann würde uns keiner den Unterschied abnehmen, der angeblich zwischen dem "Volk" und den "Volksvertretern" besteht. "Querdenker" sind das, mit Ausnahme von Herbert Kickl, keine, aber einen Querschnitt durch die Bevölkerung stellen sie schon dar. Den unreflektierten Protest wird man moralisch nicht wegschaffen können, weil diese Gegensätze von "Oben und Unten" das Werkl auch am Laufen halten. Aber diese automatisierte Politikerverachtung ist eine widerwärtige Selbsterhöhung. Beispiel: Ein politisches Genie, ich spreche natürlich von Peter Westenthaler, erklärt Wolfgang Fellner, dem journalistischen Genie par excellence, dass es in der derzeitigen Regierung keinen einzigen Menschen gibt, der seine Sache gut macht.

Wen würden Sie nennen, der nach Ihrer Meinung die Sache der Rhetorik gut macht?

Keine Politikerin, aber eine Person von großem politischen Einfluss: Margit Kraker, die Präsidentin des Rechnungshofes. Sie spricht schläfrig, aber nicht einschläfernd, leidenschaftslos - aber keineswegs, weil sie nicht leidenschaftlich dabei wäre, sondern um der Sachlichkeit allein Platz zu machen. Sie ist wahrlich keine Wuchteldruckerin, aber sie kann - dem Ernst der Lage entsprechend - sprechen. Das ist es, was der Mechanik der Verfahrensdemokratie am besten widerspiegelt. Die Präsidentin sagt es selbst: "Es geht uns immer darum, dass es im Staat besser wird, dass die Institutionen stark, robust und handlungsfähig sind." Das muss ich aus dem Gedächtnis zitieren, denn die Hieroglyphen, mit denen die Macht sich verlautbart, haben das Interview aus dem Samstag-Mittagsjournal schon am Sonntag mit dem Aphorismus belegt: "Audio aus rechtlichen Gründen nicht mehr verfügbar."

Und wie steht es mit den Medien?

Die Medien hätten bessere Chancen als die Politiker, ins Geschehen - rhetorisch - einzugreifen: Kommentieren kann man freier als politisch handeln. Der Begriff der Pressefreiheit wird oft nur formal verstanden - als die Freiheit zu sagen, was man halt so sagen will. Aber Freiheit, ein schwieriger, stets von Neuem zu diskutierender Begriff, stellt inhaltliche, öffentlichkeitswürdige Anforderungen. Was ein Mensch kommentiert und schreibt, müsste wirklich überlegt, "durchdacht" und fundamental verantwortungsvoll sein. Man wird dann vielleicht nicht zum Retter der Überfallenen im Krieg, sondern zum nüchternen Berichterstatter, aber das ist immer noch besser als diese Engagiertheit ohne Verantwortung für die Folgen - auch wenn die Kultur auf der Chance beruht, dass wir nicht für alles Gesagte sogleich mit den Folgen bestraft werden.

Diskussionsveranstaltung "Sprache und KI: Sind die Grenzen der Sprachvielfalt unendlich?"
Podium: Essayist Franz Schuh und die Philosophin Elisabeth Nemeth
Montag, 20. Juni, 18.30 bis 20 Uhr
Live-Stream: www.wienerzeitung.at