Hannes Androsch zum 75. Geburtstag im Interview über die Verantwortung für kommende Generationen
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Wien. Bildungsvolksbegehren, hochdotierter Forschungspreis, unermüdlicher Mahner für Gestaltungswille und Innovationspolitik. Hannes Androsch (75) ist seit 32 Jahren nicht mehr in der Regierung, doch politisch aktiv ist der Industrielle und Sozialdemokrat immer gewesen.
Wiener Zeitung: Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen, dass sowohl das politische als auch das wirtschaftliche System in der Sackgasse steckt. Auch Sie äußerten sich zuletzt sehr skeptisch.Hannes Androsch: Österreich liegt in Sachen Generationengerechtigkeit im unteren Drittel. Im aktuellen Finanzrahmen steigen Transferleistungen, aber die Zukunftsausgaben stagnieren. Das müssen wir überwinden. Schweden und die Schweiz haben vorgezeigt, dass es möglich ist, alte Zöpfe abzuschneiden, ohne den Wohlfahrtsstaat zu opfern.
Woran liegt das? Ist unser politisches Personal schlechter?
Wir sind bisher ganz gut durch die Krise gekommen, es gibt also einen Mangel an Veränderungsbereitschaft in der Bevölkerung. Das ist brandgefährlich. Denn dadurch fehlt es auch der Politik an Gestaltung und Entschlossenheit.
Gestaltung und Entschlossenheit zeigte aber auch Margaret Thatcher. Das kann man von Politikern wie José Manuel Barroso nicht behaupten.
Mit ihrer Hartnäckigkeit hat sie etwas bewegt. Sie hat viel Blödsinn gemacht, aber sie hat etwas gemacht, und in Europa gab es ja auch Jacques Delors. Es geht also, wenn man will. Und, in aller Demut gesagt, als wir 1977 die Hartwährungspolitik durchsetzten, die Motor des industriellen Aufschwungs wurde, gab es viele, die sie ablehnten. Das ist eine Frage des politischen Muts.
Politischen Mut kann man aber nicht kaufen.
Man hat ihn oder nicht. Aber es findet ja in der Politik selbst eine Spirale nach unten statt. Politiker dürfen nichts verdienen, sie dürfen keine Pension haben. Dafür sorgen in Österreich Parteien selbst. Auch Medien spielen da mit. Ich meine das nicht pauschal, doch auch sie unterliegen der Kritik. Für die Politiker verschlechtert sich dadurch die Ausstattung.
Und der Frust der Bürger wächst...
. . . na ja. Viele junge Menschen nennen als Ziel Sicherheit und Freizeit. Zuerst sollte es aber die Leistungsbereitschaft, auch gegenüber einer Gesellschaft, geben. Es war ein Fehler der Eltern- und Großeltern-Generation, dies nicht stärker vermittelt zu haben.
Sie sind gegen die Grundsicherung?
Das sollte keine Forderung der Sozialdemokratie sein. Ich werde einem Voest-Schichtarbeiter schwer erklären können, dass er länger arbeiten muss, wenn daneben ein Frühpensionist wohnt, der mit Transferzahlung und Nachbarschaftshilfe, wie es so schön heißt, annähernd so viel Geld hat. Und wir beklagen uns, dass so viele Frauen Teilzeit arbeiten, stellen aber keine Ganztagsschulen zur Verfügung.
Das klingt jetzt ein bisschen nach deutscher Disziplin. In Italien und Frankreich wird gerade ein "lateinisches Reich" für die EU gefordert, als Kontrapunkt zu Deutschland.
In den bald 70 Jahren nach dem Krieg ist die Kluft zwischen Nord- und Süditalien nicht kleiner geworden, obwohl Unsummen dafür ausgegeben wurden. Wie kann man Ratschläge geben, wenn der eigene Schrebergarten nicht funktioniert? Außerdem, wie ich sagte: Nicht Deutschland ist mein Vorbild, ich halte nichts von überzogener Austeritätspolitik. Aber die Schweiz, Schweden und andere skandinavische Länder haben gezeigt, wie es gehen kann. Es gibt ja auch bei uns Kinder und Enkelkinder, um die man sich kümmern muss. Aus Feigheit das Grade krumm sein zu lassen, wäre ganz falsch.
Zur Person
Hannes Androsch geboren am 18. April 1938, ist Unternehmer und war in den 1970er Jahren Vizekanzler und Finanzminister. In seine Ära fällt die "Hartwährungspolitik", die den Schilling fix an die D-Mark band. Ermittlungen über Steuerhinterziehung beendeten seine politische Karriere. Androsch wurde danach CA-Chef und Industrieller. Er hat zwei Töchter und einen Sohn.