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Die politische Mitte auf Tauchstation

Von Daniel Bischof

Leitartikel

Van der Bellen fuhr im Schlafwagen in den Wahlkampf.


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An harten Positionen mangelt es im Hofburg-Wahlkampf nicht. Mehrere Kandidaten geben mehr oder weniger offen an, dass sie im Falle ihres Wahlsieges die Bundesregierung entlassen würden. MFG-Parteichef Michael Brunner sieht sich verfassungsrechtlich dazu verpflichtet. Blogger Gerald Grosz unterschrieb einen Notariatsakt, laut dem er die Regierung am Tag seiner Angelobung entlassen wird. Mehr Chancen hat Türkis-Grün noch bei Walter Rosenkranz: Der FPÖ-Kandidat beziffert die Wahrscheinlichkeit für eine Entlassung mit "über 50 Prozent".

Diese Systemkritik zieht sich auch thematisch durch den Wahlkampf. Einigen Bewerbern kann es nicht schnell genug gehen mit der Abschaffung der Russland-Sanktionen. Rhetorisch überbieten sie einander mit ihrer Ablehnung der Corona-Politik. Grosz fordert den Austritt aus der EU, mehrere Kandidaten legen die Kontrollrechte des Bundespräsidenten bei der Beurkundung von Gesetzen extensiv aus.

Dass systemkritische Aussagen im Wahlkampf kein Gehör fänden, kann schwerlich behauptet werden. Der Grund ist vor allem: Diese Wahl findet in einer Stimmung statt, die von Zukunftssorgen, Unzufriedenheit und Krisen geprägt ist. Die Flut an Systemkritikern ist damit erwartbar, sie spiegelt den vorhandenen Unmut in Teilen der Bevölkerung wider.

Unüblich ist aber, dass Stimmen der etablierten Parteien und von Kandidaten der politischen Mitte derart leise sind. Mit moderaten Positionen fällt am ehesten noch Dominik Wlazny auf.

Amtsinhaber Alexander Van der Bellen fuhr hingegen im Schlafwagen in den Wahlkampf. Vor schönen Kulissen gab es zwar Medientermine, Debatten mit seinen Kontrahenten entzieht er sich aber. Mit originellen Ideen wartete er auch nicht auf - so etwa, als der Ex-Wirtschaftsprofessor jungen Menschen rund um die Teuerung riet: "Zähne zusammenbeißen. Es wird schon irgendwie gehen."

Der Überhang der Systemkritiker wird sich im Wahlkampf nicht mehr stark ausgleichen. In den TV-Duellen werden es wieder sie sein, die den Ton angeben, Van der Bellen nimmt an keinem der Duelle teil. Das mag wahltaktisch sinnvoll sein, der Debattenkultur ist es nicht zuträglich.

Ebenso wenig war es die Entscheidung von ÖVP und SPÖ, keinen Kandidaten aufzustellen. Ja, der Bewerber hätte überschaubare Chancen gehabt. Ja, der Wahlkampf hätte etwas gekostet. Aber Mutlosigkeit und Bequemlichkeit sind nicht die besten Ratgeber. So bekommen die Parteien ihre Quittung: Sie können sich täglich anhören, wie hundsmiserabel sie agieren, ohne mit einem eigenen Kandidaten inhaltlich darauf antworten zu können.