Einen Tag nach der Vertreibung von Präsident Jean-Bertrand Aristide aus Haiti trafen am Montag zeitgleich mit den Rebellen auch die ersten Soldaten aus den USA, Frankreich und Kanada in Port-au-Prince ein. Vordringlichste Aufgabe der vom UNO-Sicherheitsrat abgesegneten Mission ist es, angesichts des von Gewaltexzessen zwischen Aristide-Anhängern und der Opposition begleiteten Machtvakuums in der Hauptstadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen sowie den Weg für eine Übergangsregierung zu ebnen. Aristide fand indes zunächst Zuflucht in der Zentralafrikanischen Republik, will aber bereits in den kommenden Tagen in sein künftiges Exilland Südafrika weiterreisen.
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Bereits in den frühen Morgenstunden trafen am Montag die ersten 1000 US-Marineinfanteristen ein. Kurz nachdem das 33. Marine-Infanterie-Regiment gelandet war, fanden sich auch 200 französische Soldaten und Gendarmen in der Hauptstadt ein. Kanada entsandte ebenfalls einen Voraustrupp, der zunächst auf dem Militärflughafen Stellung bezog. Das Mandat für die Internationale Eingreiftruppe, das der UNO-Sicherheitsrat am Sonntag einstimmig gebilligt hatte, wurde vorerst auf drei Monate begrenzt. Danach soll für eine längere Phase eine Stabilisierungstruppe stationiert werden, die vornehmlich aus Polizeieinheiten betehen wird, wie UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York betonte.
Zeitgleich mit den US-Soldaten marschierte am Montag auch Rebellenführer Guy Philippe mit seinem Stoßtrupp in Port-au-Prince ein. Zuvor hatten sich bereits einige seiner Gefolgsleute in der Hauptstadt verschanzt und Jagd auf Aristide-Anhänger gemacht, die ihrerseits mutmaßliche Rebellen gelyncht hatten. In der Stadt herrschte Chaos. Es kam zu wilden Schießereien und Plünderungen. Auch das Nationalgefängnis wurde gestürmt, wodurch mehr als 3.000 Häftlinge, darunter der ehemalige Putschist Prosper Avril, die Freiheit erlangten. Der Ex-General war 1988-1990 an der Spitze einer Militärregierung gestanden. Die Polizei versuchte großteils erfolglos, die Ordnung wiederherzustellen.
Wie es nun politisch weitergehen soll, ist unklar. Gemäß der Verfassung übernahm Boniface Alexandre, bisher Oberster Richter Haitis, nach dem Sturz Arisitides vorübergehend dessen Amtsgeschäfte. In seine Zuständigkeit fällt nun die Vorbereitung von Parlaments- und Präsidentenwahlen. Doch ist es fraglich, ob die Opposition und ihre Schutzmacht USA den Aristide-Gefolgsmann als Interimslösung akzeptieren. Es gibt bereits Gerüchte, wonach die US-Regierung einen Oppositionsvertreter, möglicherweise sogar einen Ex-Militär, an die Staatsspitze setzten will, was blutige Kämpfe zur Folge hätte. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Alexandre bleibt, die Opposition dafür die Regierung stellt. Als dritte Variante bleibt noch die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit, in der der Interimspräsident nur repräsentative Aufgaben erhält.
Haiti steht jedenfalls vor einer Zerreißprobe - wie schon so oft in seiner 200-jährigen Geschichte. Nur zwei Mal hat das Land eine friedliche Machtübergabe erlebt, dafür aber 33 gewaltsame Umstürze, Aristides Sturz vor zwei Tagen mit eingerechnet. Eine entscheidende Rolle beim künftigen Machttransfer spielen die Rebellen, die sich hauptsächlich aus Rekruten der 1994 von Aristide aufgelösten Armee zusammensetzen und enge Verbindungen zu den USA unterhalten. Zwar hat sich ihr Anführer Guy Philippe gestern bereit erklärt, angesichts der internationalen Ordnungskräfte die Waffen niederzulegen und der Demokratie das Wort geredet, dennoch wird befürchtet, dass eine Neuauflage jener blutigen Militärdiktaturen bevorsteht, die das Land bis 1990 und von 1991-1994 prägten. 1991 hatten die rechtsgerichteten Armeekräfte Aristide schon einmal aus dem Amt geputscht und 5.000 seiner Anhänger massakriert. Motor des Putsches war damals die FRAPH, deren Anführer Emmanuel Constant im Sold der CIA stand und heute unbehelligt in den USA lebt. Nun kämpfte Hand in Hand mit Philippe FRAPH-Nachfolger Louis Jodel Chamblain für die "Befreiung" Haitis - wieder mit tatkräftiger Unterstützung der USA.