Französischer Experte Philippe Hugon bemängelt fehlendes EU-Engagement.
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"Wiener Zeitung":Könnte sich in Mali eine ähnliche Situation wie in Afghanistan entwickeln?Philippe Hugon: Es gibt in der Tat Ähnlichkeiten: Der radikale Islamismus, der Drogenhandel, Algerien lässt manch einen an die Rolle Pakistans im Afghanistan-Konflikt denken. Aber es gibt auch große Unterschiede. Afghanistan ist noch nie von einer Weltmacht erobert worden. Die Paschtunen haben auch nicht völlig mit den Taliban gebrochen. In Mali wiederum rekrutieren sich die Dschihadisten aus dem Ausland, wie Algeriern und Mauretaniern, und stammen nicht aus der malischen Tradition des Islam. Das bedeutet, dass es ihnen an familiärer Unterstützung mangelt.
Was wird wohl die Strategie der Islamisten sein?
Sie könnten versuchen, Gras über die Sache wachsen zu lassen und sich dann mit Selbstmordattentaten sowie Geiselnahmen zurückmelden. Gleichzeitig werden sie versuchen, weiter den Drogenhandel zu kontrollieren.
Wie wird sich die Anwesenheit französischer Truppen in Mali entwickeln?
Frankreich wird sicherlich die Zahl seiner Soldaten vor Ort reduzieren, sobald ein ausreichendes Kontingent an afrikanischen, zumal malischen, Truppen vorhanden ist. Aber Frankreich kann sich nicht zurückziehen.
Warum?
Weil dann die Dschihadisten problemlos die Städte im Norden zurückerobern könnten. Abgesehen vom Tschad hat es keine nennenswerte militärische Unterstützung gegeben. Von der EU ist nichts gekommen, Frankreich steht allein auf weiter Flur: Die Italiener haben trotz ursprünglicher Zusagen keine logistische Unterstützung geliefert, die Deutschen haben sich auch nicht besonders engagiert, die Ecowas ebenso wenig.
Was geschieht, wenn sich Europa weiterhin nicht beteiligt?
Dann müssen die französischen Truppen dauerhaft bleiben und gestützt von amerikanischer Logistik malische Soldaten ausbilden. Das würde ein äußerst langer Prozess. Die Position der EU ist mir bisher unbegreiflich. Immerhin gibt es ja die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Es müssten alle zusammen agieren, schließlich ist das nicht eine Angelegenheit zwischen Frankreich und Afrika. Das ist ja nicht irgendein postkolonialer Krieg.
Wie ist das Zögern Europas zu bewerten?
In Amerika war Präsident Obama abgeneigt gegen einen Einsatz, weil er geglaubt hat, dass es sich um einen von vornhinein verlorenen Krieg handeln könnte. Diese Argumentation ist immerhin nachvollziehbar. Aber die Europäer haben gesagt: "Das geht uns nichts an." Das ist sehr viel schwerer zu verstehen. Ich weiß nicht wie es weitergehen wird, aber ich weiß, dass die Dschihadisten alle Städte zurückerobern werden, wenn die französischen Truppen abziehen.
Philippe Hugon ist Studienleiter am Institut für internationale Beziehungen und Strategien Iris und für Afrika zuständig. Daneben berät er die Weltbank.