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Die postmoderne Kolonisation

Von Simon Inou

Politik

Am letzten Sonntag haben sich sechs ivorische Parteien und drei Rebellenbewegungen in Marcoussis bei Paris auf ein Friedensabkommen geeinigt, das nach vier Monaten den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste beenden soll. Vorgesehen ist die Bildung einer "Regierung der Nationalen Einheit" unter dem moslemischen Kompromiss-Premier Seydou Diarra. Doch unter den Anhängern von Präsident Laurent Gbagbo erhebt sich Widerstand.


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Etwa 1500 so genannte "Junge Patrioten" versammelten sich gestern in der Wirtschaftsmetropole Abidjan vor der US-Botschaft, um Unterstützung gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich einzufordern. Das Land sei von Frankreich "in die Knie gezwungen" worden und befinde sich "in Gefahr", so die Demonstranten. Sie wünschen sich nun ihrerseits Schützenhilfe von Washington. Auch Gbagbo selbst ist mit dem Friedensabkommen unglücklich und spricht von unverbindlichen "Vorschlägen", die in Marcoussis unterbreitet worden seien.

Der Bürgerkrieg begann am 19. September des Vorjahres. An jenem Tag befand sich der Gbagbo gerade auf Staatsbesuch in Italien. Ein Teil der Armee nützte seine Abwesenheit für einen Putschversuch. die Rebellen besetzen die zwei größten Städte im Norden, Korhogo und Bouaké. Der Coup gelingt nicht. Es gibt viele Tote in Abidjan, unter ihnen Ex-Staatschef Robert Guei, der sich 1999 selbst an die Staatsspitze geputscht hatte, sowie Emile Boga Doudou, Innenminister von Gbagbo.

Die Rebellengruppe MPCI (Patriotische Bewegung) ist von jungen Soldaten aufgebaut worden und wird vom Nachbarland Burkina Faso militärisch tatkräftig unterstützt. Die Anhänger des MPCI fordern Gbagbos Rücktritt und die sofortige Ausrufung von "Neuwahlen für alle". Die Betonung liegt auf dem Wörtchen alle. Gemäß einer neuen Verfassung genießen nämlich nur Abkömmlinge der ursprünglich aus dem Gebiet der Elfenbeinküste stammenden Ethnien volle Bürgerrechte. Alassane Ouattara, Chef der republikanischen RDR und größter politischer Herausforderer von Gbagbo ist aufgrund der "doctrine d`Ivoirité" von der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 ausgeschlossen worden.

Ende November 2002 machen nach der Rebellion der MPCI zwei weitere Rebellenbewegungen von sich reden: Die MJP (Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden) und MPIGO (Patriotische Bewegung im großen Westen). Beide haben nach eigenen Angaben nichts mit der MPCI zu tun, stehen Guei nahe und werden von Liberia mit Kämpfern und Waffen versorgt.

Nachdem alle innerafrikanischen Friedensversuche gescheitert sind, mischte sich Frankreich ein - freilich nicht aus wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen. 20.000 Franzosen leben derzeit in der Elfenbeinküste. Die meisten arbeiten entweder in den Bereichen Verwaltung und Militär oder betreiben Handelsunternehmen. Alle Konfliktparteien wurden nach Marcoussis eingeladen, um ein Friedensabkommen zu unterschreiben. Gelungen.

Vor Ausbruch des Bürgerkrieges im September konnte die Elfenbeinküste mit einer relativ florierenden Wirtschaft aufwarten. Das durchschnittliche Wachstum des größten Kakao-Produzenten der Welt betrug drei Prozent des BIP. Das Land war in den Augen der Franzosen das stabilste und wirtschaftlich interessanteste im frankophonen Afrika. Aber was geschah in Marcoussis?

Fragwürdige Einflussnahme

Der französische Präsident Jacques Chirac drängte a) den gewählten Ministerpräsidenten zum Rücktritt und erzwang b) die Installierung einer neuen Regierung der Nationalen Einheit, in der die Rebellengruppen zwei der mächtigsten Ministerien stellen dürfen: das Innen- und das Verteidigungsressort. Damit wurde ein gefährliches Zeichen gesetzt: in afrikanischen Ländern kann jede bewaffnete Gruppierung oder Bewegung einen Teil des Landes unsicher machen und kommt wenige Monate später an die Macht - ohne jegliche demokratische Legitimierung, sprich ohne Mandat der Bevölkerung.

Eigenes Versagen

Der Einfluss Frankreichs in Afrika nimmt zu. Dem schwarzen Kontinent fehlen politische Instrumentarien und Institutionen, um die Konflikte autark lösen zu können. Der Grund: Viele Staatschefs innerhalb der Afrikanischen Union (AU) sind nicht demokratisch gewählt. Sie leiten entweder seit mehr als 20 Jahren die Amtsgeschäfte und wurden noch von der damaligen Kolonialmacht eingesetzt (Gabun, Guinea, Togo, Kamerun und Simbabwe); oder sie kamen durch einen Militärputsch an die Macht gekommen, wie die Staatschefs in der D.R. Kongo, in Liberia oder in Gambia.