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Das bevorstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über die gesetzliche Regelung des Hochschulzugangs in Österreich schafft der österreichischen Hochschulpolitik seit dem Universitätsgesetz 2002 erstmals erhöhte Medienpräsenz.
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Im Großen und Ganzen dürften sich die Universitätsangehörigen mit den Gegebenheiten abgefunden haben und dem Bedeutungsverlust staatlicher Entscheidungen in Angelegenheiten der Universitäten wenig nachtrauern. Die Bevölkerung, so scheint es, sorgte sich ohnehin wenig um die Universitäten.
Am 7. Juli, wenn der EuGH sein Urteil verkünden wird, wird der Kompetenzverlust des Nationalstaates und das Ende der nationalstaatlichen Universität vermutlich neuerlich bestätigt werden. Die "österreichische Lösung", die anderen EU-Bürgern - wie den übrigen Ausländern auch - den Zugang zu den heimischen Universitäten verwehrt, wenn diese nicht auch einen Studienplatz in ihrem Heimatland nachweisen, wird voraussichtlich fallen. Sie widerspricht dem Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages. Dies wird zur Folge haben, dass der österreichische Gesetzgeber nicht mehr, wie bisher, den freien Hochschulzugang garantieren kann oder will. Da es die österreichischen Regierungen seit spätestens 1990, als der EU-Beitritt vorbereitet wurde, verabsäumten, eine eigenständige, EU-verträgliche Zulassungspolitik zu entwickeln, wird in Österreich die Hochschulzulassung künftig wahrscheinlich vom Schicksal des deutschen Numerus Clausus abhängig sein.
Anders als beim UG 2002, das in erster Linie von Hochschulangehörigen wegen der Schaffung hierarchischer Strukturen an den Universitäten und der Einschränkung von Mitspracherechten kritisiert wurde, hat eine Beschränkung des Hochschulzuganges weiter reichende Auswirkungen. Sie betrifft nicht nur die Hochschulangehörigen, sondern alle, die künftig studieren wollen (und deren Familien). Dies mag zu einer breiteren öffentlichen Diskussion führen, in der die Rolle des Nationalstaates und der fundamentale Wandel von Universitäten genauer zu Tage treten.
Repräsentanten der Universitäten kokettieren gerne mit der Unverwüstlichkeit ihrer Einrichtung und betonen, die Universität sei, neben der katholischen Kirche, die zweitälteste Institution der westlichen Welt mit durchgängiger Geschichte. Das ist zwar ein nettes Zitat, verwechselt aber Begriff und Institution. Der Begriff "Universität" hielt sich in der Tat seit dem Mittelalter und war damals die gängige Bezeichnung der Gemeinschaft aller Zunftmitglieder in einem bestimmten Beruf.
Die Mission der Universität
Während mit dem Zerfall des Zunft- und Gildenwesens dieser Begriff bei Berufsgruppen wie den Schreinern und Schustern verschwand, hielt er sich bei den Gelehrten.
Zwischen den Institutionen, die diese Bezeichnung führten, aber liegen Welten. In institutionell-organisatorischer Hinsicht weisen die mittelalterliche Universität und die neuzeitliche ebenso große Unterschiede auf wie die staatlichen Gebilde, die sie formten, widerspiegelten und für die sie ausbildeten. Die mittelalterliche Universität bildete für die geistlichen Berufe und die Rechtsberufe aus, Oxford und Cambridge hatten die Entwicklung eines "habit of mind" (J. H. Newman) zum Ziel, und für die Universitäten des Nationalstaates war die Forschung zentral.
Welches Gebilde ist nun die postmoderne, entstaatlichte Universität und welche - wie man es heute nennt - "mission" hat sie? Sie ist, so auch in Österreich, ein ausgegliedertes Unternehmen (obwohl man über den konkreten Begriff "Ausgliederung" noch streitet), für das der Staat nach wie vor die finanzielle Hauptlast trägt, aber seine Gestaltungsmacht weitgehend delegiert hat. Diese Form prägt auch die Inhalte.
Der ausgegliederten Universität entspricht die Umgestaltung der Studien im Zuge des Bologna Prozesses, einer Übereinkunft der europäischen Bildungsministerinnen und Bildungsminister zur Angleichung der Studiensysteme. Die EU wiederum erlangte Einfluss und Kompetenz in der Hochschulpolitik dadurch, dass der EuGH Universitätsstudien als Berufsausbildung definierte (Fall Gravier, Erasmus-Urteil). Eine Aufgabe, die die staatliche Universität stets verächtlich zurückwies.
Wie in der Sowjetunion
Bis zum UG 2002 war in den österreichischen Studiengesetzen von "wissenschaftlicher Berufsvorbildung" die Rede. Nun entspricht es der postmodernen Wissensgesellschaft, dass die Berufsausbildung möglichst viele zu einer möglichst großen Flexibilität befähigt. Konsequenz: Der Hochschulzugang und die Ausbildung sollen allgemein sein, die Mehrheit soll in den Genuss eines Hochschulstudiums kommen, dessen Ziel "Employability" ist. #
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die Russische Föderation sich just zu dem Zeitpunkt dem Bologna Prozess anschließt, in dem dieser sich anschickt, in Europa ein Hochschulsystem zu schaffen, das - wenn auch nur begrifflich - dem der Sowjetunion entspricht: Das Erststudium hieß dort und heißt auch in der Russischen Föderation noch "höhere berufliche Bildung" - ähnlich wie der EuGH ein Studium interpretierte. Das postgraduate Studium wird als post-universitäre Bildung bezeichnet, was der Auslagerung dieses Bereiches in Elite-institutionen nahe kommt.
Die Forschung, einst so wichtig für den Nationalstaat,
wird zunehmend von europäischen und internationalen Akteuren bestimmt, während die Rolle der Nationalstaaten dabei auf Standortpolitik (diese, nicht Forschungspolitik, wird auch zur Begründung einer Eliteuniversität in Österreich angegeben) reduziert wird.
Damit einhergehend ändert sich die forschungsgeleitete Organisation der Universität: Nicht mehr Fachdisziplinen bzw. Institute, sondern Forschungsschwerpunkte sind an den Universitäten strukturbildend. Oder aber es werden neue Forschungsinstitutionen - Eliteuniversitäten oder "Centres of Excellence" - für Forschungsschwerpunkte geschaffen.
Der Nachweis, ob Forschungsschwerpunkte mehr als Disziplinen Innovationen vorantreiben, wird, wenn er überhaupt je erbracht werden kann, noch einige Zeit auf sich warten lassen. Ebenso wird man sehen, ob Forschungsschwerpunkte sich besser als Disziplinen - von denen ein altes OECD-Bonmot sagt: "universities have departments, societies have problems" - gesellschaftlicher Problemen annehmen. Beides, Innovationspotential und gesellschaftliche Relevanz, hängen wohl davon ab, wer und wie Schwerpunkte definiert werden. Sie hängen aber auch damit zusammen, welche Rolle dabei Fragen, die sich aus der Forschung selbst ergeben, spielen werden, d.h. was Wissenschaftsfreiheit künftig heißen und wie sie - wenn nicht mehr durch den Nationalstaat - garantiert wird.
Die Autorin ist Mitarbeiterin des Instituts für Politikwissenschaft.