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Die potemkinsche Wahl

Von Gerhard Lechner

Politik

Bei der Präsidentschaftswahl gilt Putin als sicherer Sieger. Widersacher Nawalny wurde ausgeschlossen und ruft zum Boykott auf.


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Moskau/Wien. Alexej Nawalny ist gewiss ein mutiger Mann. Schon seit Jahren kämpft der junge Oppositionspolitiker gegen die russische Machtelite einen Kampf wie David gegen Goliath, wird immer wieder verhaftet, wieder freigelassen, vor Gericht geladen, manchmal verurteilt. Auch jetzt, im Vorfeld der russischen Präsidentenwahlen, die am 18. März stattfinden, gibt Nawalny nicht auf. "Euer Leben steht auf dem Spiel", versuchte der junge Jurist seine Landsleute Ende Jänner in einer Videobotschaft aufzurütteln. "Wie lange wollt Ihr noch mit diesen Dieben, Fanatikern und Perverslingen an der Macht leben?"

Da ohnehin klar sei, wer die Wahl gewinnen werde - nämlich Präsident Wladimir Putin -, rief der 41-Jährige die Russen zur "Zabastowka" auf - zum Wahlboykott. Ihm selbst wurde von der Wahlkommission die Kandidatur verwehrt: Nawalny war in einem Verfahren, das Beobachter für fragwürdig hielten, wegen Unterschlagung zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Für die Behörde war das ein Vorwand, die Kandidatur des einzig wirklichen Gegenkandidaten Putins bereits im Vorfeld des Wahlkampfs zu verhindern.

Und das, obwohl es nicht den Anschein hat, als könnte Nawalny Putin selbst bei fairen und freien Wahlen ernstlich gefährden: Die Popularität des Präsidenten, der die russische Staatlichkeit nach den turbulenten und krisenhaften 1990er Jahren wieder festigte und den Wohlstand hob, ist vor allem in der Provinz immer noch groß. In Umfragen liegt Putins Rating bei rund 70 Prozent, die zugelassenen Gegenkandidaten erreichen nur einstellige Werte.

Gespaltene Opposition

Die Lust der Russen auf Experimente dürfte sich in den derzeitigen krisenhaften Zeiten zusätzlich in Grenzen halten - obwohl die Botschaften in Nawalnys Videos wohl viele unterschreiben würden: Der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit bewegt viele, und der Ärger über die allgegenwärtige Korruption, über die kleine Clique aus Multimillionären und Milliardären ist weit verbreitet. Ein gutes Leben in einem "normalen Land", wie es Nawalny verspricht, entspricht dem Wunsch vor allem der städtischen Jugend.

Dennoch gibt sich der Kreml betont gelassen: Es waren nur ein paar tausend Teilnehmer, die kürzlich Nawalnys Aufruf zu Protesten gefolgt sind - und damit deutlich weniger als bei den Antikorruptionsprotesten gegen Premier Dmitri Medwedew im Vorjahr. "Die Beliebtheit von Wladimir Putin geht weit über die Grenzen Russlands hinaus", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Putin sei "in der öffentlichen Meinung absolut führend" und ein "Anführer des politischen Olymps", suchte Peskow den Unterschied des Weltpolitikers Putin zum Fliegengewicht Nawalny zu betonen. "Dazu kommt, dass Nawalnys Aufruf zum Wahlboykott in der Opposition selbst höchst umstritten ist", sagt Russland-Experte Gerhard Mangott im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "So hat zum Beispiel der liberale Oppositionelle Wladimir Ryschkow dagegen Stellung genommen. Nawalny repräsentiert also nicht die ganze Opposition."

Die Gespaltenheit der Kreml-Gegner macht es der russischen Führung leicht, das Theaterstück Präsidentenwahl auf und über die Bühne zu bringen. Putins Gegenkandidaten sind kaum mehrheitsfähig: Neben alten Bekannten wie Ultranationalist Wladimir Schirinowski tritt etwa für die Kommunistische Partei Pawel Grudinin an, der Chef eines großen Agrarbetriebes. Er gibt den fürsorglichen Patron, der sich um seine Angestellten kümmert. Grudinin könnte damit gewissen Erfolg haben, Putin gefährden wird er aber wohl kaum können.

Auf der liberalen Seite des politischen Spektrums kandidiert die 37-jährige Journalistin Xenia Sobtschak. Sie könnte die Stimmen jener gutsituierten Großstädter auf sich vereinen, die sich Nawalnys Boykott nicht anschließen wollen. Sobtschak galt vor etwa zehn Jahren als Party-Girl und russische Paris Hilton, mauserte sich etliche Talkshows später aber zur ernsthaften politischen Journalistin, die für den kremlkritischen Sender "Doschd" arbeitet.

Beteiligung für Kreml wichtig

Sobtschak stammt allerdings als allzu gutem Hause: Der Umstand, dass ihr mittlerweile verstorbener Vater Anatoli Sobtschak als Bürgermeister von St. Petersburg die Karriere Wladimir Putins maßgeblich förderte und als Putins wichtigster Mentor galt, wirft für manche einen Schatten auf ihre Kandidatur. Man vermutet, es handle sich um ein Polit-Projekt des Kremls, um die Wahlbeteiligung in die Höhe zu treiben.

"Die Beteiligung ist für den Kreml wichtig, um die Legitimität des Urnengangs zu erhöhen. Sie kann nicht grenzenlos gefälscht werden", analysiert Mangott. "Erreicht der Kreml rund 65 Prozent Beteiligung, ist für ihn alles in Ordnung", meint er. Alexej Nawalny wird alles daransetzen, dass diese Marke am 18. März deutlich unterschritten wird.