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Die Pyramiden bröckeln, das Machtgefüge wankt

Von Eva-Susanne Krappel

Gastkommentare

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Ägyptens Pyramiden versprühen seit Jahrtausenden ihre Symbolkraft auf die Systeme gesellschaftlicher Organisation. Sie bilden die Metapher für Hierarchie. Hierarchische Organisation zieht ihre Legitimität aus der Annahme, dass ihre Spitze im Zentrum über die Informationen für sinnvolle Entscheidungen verfügt. Die "heilige Ordnung" delegiert "Verantwortung" nach oben; die so "Versicherten" haben an ihrem Platz zu bleiben und das Ganze nicht in Frage zu stellen, denn angeblich handeln "die da oben" ja im Sinne des Gemeinwohls.

Unseren "aufgeklärten" Alltag prägen hierarchische Verhältnisse - in der Schule, im Geschlechter- und Arbeitsverhältnis oder als Bürger denken wir in der Struktur von Über- und Unterordnung. Trotz demokratischer Verfassung wird oben entschieden, was unten zu geschehen hat. Wir - das Volk - werden geführt. Zugleich wird immer öfter nach dem mündigen Bürger und Konsumenten, der Zivilgesellschaft gerufen, sie mögen doch endlich Selbstverantwortung übernehmen! Wie das, fragt sich der brave, kleine Mann von der Straße, ihr entscheidet und wir sollen die Verantwortung übernehmen? Nein danke, kein guter Deal!

Die alten Ägypter hatte keine Alternative, weil Pharao angeblich einen guten Draht zur göttlichen Allmacht hatte. Ähnliches macht uns die Kirche glauben. Macht konstruierte sich traditionell über einen wie auch immer gearteten Informationsvorsprung - getarnt als "Wissen". Die erste Spaltung der Macht vollzog sich durch die Trennung von Kirche und Staat. Die gesellschaftliche Aufspaltung geht stetig weiter.

Der vertikalen Differenzierung folgte schleichend eine horizontale. Die postmoderne Welt müssen wir uns mehrdeutig denken. Die Teilsysteme kommunizieren und entscheiden nach eigener Logik. Dies folgt einer Dynamik, die einen globalen gesellschaftlichen Strukturbruch offenbart, der rasanter und radikaler wirkt als alle bisherigen Revolutionen. Homogene, zentralistisch organisierte Modelle erodieren. Nichts überblickt mehr ein zusammenhängendes Ganzes. Die Technostruktur des Internet wirkt in sozialen und kulturellen Subsystemen von Organisation fort.

Die Facebook- und Twitter-Generation schert sich nicht um Geheimhaltung und bricht Tabus, alles wird kommuniziert. Spätestens die Wikileaks-Enthüllungen ließen die vermeintlich unangreifbaren Informationspyramiden erbeben. Dieses Spiel geht weiter, nichts bleibt geheim, nicht einmal die Konten der Potentaten. Und das Volk holt sich mit den Informationen auch die Verantwortung zurück.

Staunend verfolgen wir, wie sich im arabischen Raum die Basis auf die Füße stellt. Alles ist in Bewegung. Niemand weiß, wie sich die Welt entwickelt. Nur eines ist sicher: Die Mächtigen dieser Welt befinden sich auf den Spitzen recht wackliger Pyramiden, die ungebremste Informationsflüsse unterspülen. Die subversive Kraft einer weltumspannenden Techno struktur untergräbt die "heilige Ordnung", die alten Zentren der Macht verflüssigen sich im Internet.

Eva-Susanne Krappel ist Organisationsberaterin in einer politischen Interessenvertretung und hat Erfahrung im Konfliktmanagement.