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Die Rache der Enterbten

Von Michael Schmölzer

Politik

Griechen wenden sich radikal linken und rechten Parteien zu, viele resignieren.


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Athen/Wien. Auf den ökonomischen Tsunami folgt der politische: Am 6. Mai wird in Griechenland ein neues Parlament gewählt. Das Votum, warnen Beobachter, wird keinen Stein auf dem anderen lassen und die politische Landschaft in dem Land am Rande der Pleite umkrempeln. Die etablierten Parteien, die sozialistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia (ND), werden nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Die Schuldenkrise und der darauf folgende Sparkurs hat die politische Mitte erodieren lassen, die unzähligen Fraktionen an den politischen Rändern werden sprunghaft stärker.

Linke, Rechte, Renegaten

Es ist eine heterogene Truppe, die die Drei-Prozent-Hürde überspringen und ins Parlament einziehen wird. Das Spektrum reicht von den "Unabhängigen Griechen" über die Neugründung "Ich bezahle nicht" bis zur ganz offen faschistischen "Goldenen Morgendämmerung". Realistische Chancen auf einen Verbleib im Parlament hat die ultrarechte Laos-Partei. Die Nationalisten haben zunächst sogar die Regierung Lucas Papademos und das rigide Sparprogramm unterstützt, sind aber im Februar 2012 ausgeschert. Insgesamt wollen mehr als 30 Parteien an dem Votum teilnehmen - so viele wie noch nie seit dem Ende der Militärdiktatur 1974. Acht Kleinparteien, so die Prognosen, könnten den Sprung ins Parlament tatsächlich schaffen. Die Kommunisten und das Linksbündnis Syriza sind sicher darunter. Drei weit links stehende Gruppierungen könnten insgesamt ein Drittel der Stimmen bekommen.

Den regierenden Konservativen und vor allem der Pasok laufen unterdessen die Wähler davon. Die Sozialisten kommen noch auf ungefähr 12 Prozent der Stimmen und sind damit zur Kleinpartei geschrumpft, die Nea Dimokratia wird auf etwas über 20 Prozent geschätzt. Eine Gruppe von Abtrünnigen hat die ND verlassen und tritt als Anel bei der Wahl an. Auch die Pasok konnte ihre Partei-Elite nicht vollständig bei der Stange halten. Ex-Minister Louka Katseli nahm seinen Hut und gründete die neue Partei "Sozialpakt".

So unterschiedlich die ideologische Ausrichtung der kleinen und neuen Parteien auch sein mag, sie alle lehnen das massive Sparprogramm ab, dem sich Griechenland unterwerfen musste und das die meisten Bürger als Bestrafung empfinden. Die Wahl wird deshalb ein Referendum über den Sparkurs. Und die, die die unpopulären Maßnahmen durchsetzen, sind jetzt eindeutig nicht auf der Siegerstraße: Ob die beiden Regierungsparteien Pasok unter Evangelos Venizelos und die ND unter dem machtbewussten Antonis Samaras nach dem 6. Mai auf eine regierungsfähige Mehrheit kommen, ist fraglich. Und auch wenn sich eine Koalition rechnerisch ausginge: Die Nea Dimokratia wird seit Monaten nicht müde zu wiederholen, dass eine Koalition mit den verfeindeten Sozialisten nicht mehr in Frage kommt.

Gedemütigte Nation

Das politische Klima in Griechenland ist aufgeheizt, es regiert Angst vor Jobverlust, viele fragen sich, wie lange sie sich finanziell noch über Wasser halten können. Die Regierung Papademos hat an allen Ecken und Ende eingespart, Sozialleistungen abgeschafft und Gehälter beschnitten, auch der Mindestlohn wurde herabgesetzt. Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt und hat den Rekordwert von fast 22 Prozent erreicht. Bei den Jungen ist jeder Zweite ohne Job. Große Streiks erschüttern regelmäßig das Land. Seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Lage nicht mehr so verzweifelt. Die Stimmung schwankt zwischen Wut und Resignation, Verschwörungstheorien kursieren. Man werde von der Geldgeber-Troika EU, EZB und IWF "besetzt", heißt es, das Ausland, nicht eigene Versäumnisse seien schuld am griechischen Verhängnis.

Viele haben sich von der Politik komplett abgewandt, viele sind angesichts der Misere und der Ohnmacht der eigenen politischen Führung tief in ihrem Nationalstolz gekränkt. Es scheint, als habe Griechenland seine Ehre verloren. Alte NS-Widerstandskämpfer werden vor den Vorhang gezerrt, sie sollen mit pathetischen Reden die Schmach tilgen. Der Freiheitsheld Manolis Glezos etwa, der 1941 in einer halsbrecherischen Aktion die Hakenkreuzfahne von der Akropolis gerissen hat. Griechenland habe seine Unabhängigkeit erneut verloren, predigt er, "auf einer Skala der Unterwerfung kommen wir auf fast 100 Prozent". Glezos ruft die Jugend auf, "die Banner der Unterdrückung" erneut niederzureißen. Der 89-Jährige und sein fast gleichaltriger Mitstreiter Mikis Theodorakis blieben selbst nicht untätig und nahmen im Februar an den Demonstrationen auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament teil. Beide Herren mussten ihr Engagement vorzeitig aus Atemnot abbrechen, weil die Polizei Tränengas einsetzte.

Teure Wahlversprechen

Wer das Land nach dem 6. Mai führen soll, ist angesichts der verworrenen politischen Situation unklar. Es ist auch möglich, dass eine neue Regierung das Sparprogramm zurückfährt und weitere Kürzungen im öffentlichen Bereich ablehnt. Eine Horror-Vision für die zahlreichen internationalen Geldgeber Griechenlands. Sie treibt die Angst um, dass der mehrfach mit knapper Not abgewendete Staatsbankrott endgültig Realität wird und die Staatsschulden nie zurückgezahlt werden.

Eine ungeordnete Totalpleite hätte vor allem für Griechenland selbst verheerende Konsequenzen. Die Regierung müsste dann die Zahlung an Firmen mit öffentlichen Aufträgen und unter Umständen auch an Staatsangestellte einstellen, eine Welle von Unternehmenspleiten und sozialen Notfällen wäre die Folge. Wirtschaftsforscher wie der Österreicher Friedrich Schneider halten es für ziemlich wahrscheinlich, dass Griechenland dann in einer Militärdiktatur - wie sie schon 1967 bis 1974 Realität war - enden würde.

Schenkt man den Versprechungen der Spitzenkandidaten im Wahlkampf Glauben, dann haben auch die regierenden Konservativen das vereinbarte Sparprogramm längst über Bord geworfen. Die Nea Dimokratia will die Bevölkerung künftig entlasten und die Mehrwertsteuer von 23 Prozent auf 19 Prozent senken. Der Spitzensteuersatz soll von 45 auf 32 Prozent heruntergesetzt werden. Wie die ND dann die Sparvorgaben erreichen will, ist nicht klar. Parteichef Samaras spricht von einer neuen Glücksspielsteuer und weiteren Einsparungen bei Staatsbetrieben. Vorerst ist freilich der Sparstift im Einsatz, man rückt Betrügern im Sozialbereich zu Leibe. Zuletzt hat Athen Zuwendungen wie Pensionen für 200.000 Bürger gestrichen, weil diese Zahlungen durch Betrug erschlichen wurden und die Bezieher zum Teil gar nicht mehr leben. Die Fälle wurden allesamt durch Überprüfung und Abgleich von Daten aufgedeckt, heißt es.