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"Die Radfahrer, diese Arschlöcher"

Von Matthias Winterer

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Die anachronistische Geisteshaltung so mancher Autofahrer ist an Egoismus nicht zu überbieten.


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Es trug sich am Würstelstand zu. Mann, um die 50, Anzug, Krawatte, Lederschuhe, Typ Manager, steckt sich ein Stück Leberkäse in den Mund. Ein Radfahrer rollt am Ringradweg vorbei. Der Mann schaut ihm nach, murmelt lapidar: "Die Radfahrer, des gibt’s nicht, diese Arschlöcher". Die Antwort auf die kurze Nachfrage, was er denn gegen Radfahrer hätte, offenbart das Problem - und eine Geisteshaltung, die es längst verdient hätte auszusterben.

"Na, weil sie mich aufhalten. Ich fahr täglich vom Währinger Gürtel in die Herrengasse. Des is a Wahnsinn, wie viele Radfahrer da unterwegs sind."

Die Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ein augenscheinlich nicht gehbehinderter Mann fährt täglich mit dem Auto vom Währinger Gürtel in die Herrengasse. Das ist eine Strecke von zwei Kilometern. Zwei Kilometer, die vom öffentlichen Verkehr nicht perfekter erschlossen sein könnten. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Straßenbahn, U-Bahn, Bus. Alles fährt hier.

Natürlich kann man die Strecke auch mit dem Auto stauen. Schwärme von Mercedes -, Audi- und SUV-Fahrer beweisen das täglich auf ihren Runden durch den 1. Bezirk. Auch wenn es ganz offensichtlich ziemlich sinnlos ist, das zu tun, so bleibt es legitim. Schließlich hat man sich sein teures Auto gekauft, um es zu zeigen.

Dann aber selbstgefällig am Würstelstand über Radfahrer zu schimpfen, ist doch ein wenig sehr selbstbezogen. Immerhin sind sie die Leidtragenden ihrer Rücksichtslosigkeit. Sie fressen täglich ihre Abgase, ertragen den Lärm der Motoren, nehmen es in Kauf, von einer Autotür brutal gestoppt zu werden.

Es ist pure Ironie, dass Radfahrern ein rüpelhaftes, rowdyhaftes Image anhaftet. Sie sind es nicht, die stinkend, breit, und gefährlich durch die Straßen brüllen. Radfahrer gleiten - sauber und leise. Man stelle sich eine Stadt der Radfahrer vor. Eine autofreie Stadt. Eine Stadt, in der man am Donaukanal sitzt und statt Motoren Vögel zwitschern, das Wasser rauschen, den Löffel in der Kaffeetasse klimpern hört. Das Bild übersteigt die Vorstellungskraft.

Zu sehr haben wir uns an die Blechlawine gewöhnt. Zu lange war es ganz selbstverständlich, mit dem Auto zu fahren. Zu lange ignorierte die Politik das Problem. Schon zu lange förderte sie das Fortbewegungsmittel Nummer eins, statt etwa den öffentlichen Verkehr am Land auszubauen. Schon zu lange ist unsere komplette Wirtschaft von der Autoindustrie abhängig – direkt oder indirekt.

Und das ist das wahre Problem. Die Geisteshaltung des Manns am Würstelstand soll gar nicht aussterben. Auch wenn sie in einer aufgeklärten, urbanen Welt ziemlich anachronistisch wirkt. Sie wird gebraucht. Noch!