Zum Hauptinhalt springen

Die Radikalisierung der Grand Old Party

Von Johannes Kunz

Gastkommentare
Johannes Kunz war von 1973 bis 1980 Pressesprecher von Bundeskanzler Bruno Kreisky und von 1986 bis 1994 ORF-Informationsintendant. Es ist Autor mehrerer Bücher zu politischen Themen.
© privat

Der Trumpismus hat eine lange Vorgeschichte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Donald Trump, der 2016 für viele überraschend als Kandidat der Republikaner US-Präsident wurde und danach alles (Repräsentantenhaus, Senat und Präsidentschaft) wieder verspielte, dominiert nach wie vor die Grand Old Party (GOP). Er brachte die meisten seiner Wunschkandidaten bei den republikanischen Vorwahlen für die Midterm Elections im November durch, darunter Rechtsextreme, Anhänger der QAnon-Verschwörungstheorie, weiße Nationalisten und vor allem Unterstützer seiner großen Lüge von der gestohlenen Präsidentenwahl 2020. Jetzt versucht er, bei den Midterms in den entscheidenden Swing States ihm hörige Republikaner zu platzieren, die bei künftigen Wahlen die Stimmauszählung direkt beeinflussen können.

Zu den unzähligen Skandalen, die mit Trumps Namen verbunden sind, gesellt sich die offenbar gesetzwidrige Aufbewahrung hochgeheimer Dokumente aus der Zeit seiner Präsidentschaft im privaten Domizil in Florida. Wann wurden die Weichen in Richtung jener nationalpopulistischen Politik gestellt, die Trump ins Weiße Haus brachte und den Trumpismus zur dominierenden Strömung in der GOP werden ließ?

Die Demokraten waren bis in die 1960er die dominierende Kraft in den Südstaaten. Als die Bürgerrechtsbewegung erstarkte, trat der demokratische Präsident John F. Kennedy für die Durchsetzung der Forderungen der Afroamerikaner ein. Sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, selbst ein Südstaaten-Demokrat, realisierte die rechtliche Gleichstellung der Schwarzen im Kongress. Das war 1964. Im selben Jahr verkündete der erzkonservative Senator Barry Goldwater seine Präsidentschaftskandidatur für die GOP.

Im Rückblick führte die von Goldwater und später von Präsident Richard Nixon verfolgte "Southern Strategy" mit dem erklärten Ziel, weiße Südstaaten-Wähler, die bis dahin demokratisch gewählt hatten, mit einem Appell an rassistische Ressentiments gegen die Afroamerikaner für die GOP zu gewinnen, zu einem massiven Rechtsruck der Republikaner. Bekanntlich war es Abraham Lincoln, der erste Präsident aus ihren Reihen, der die Abschaffung der Sklaverei betrieben hatte. Nixons politischer Stratege Kevin Phillips schrieb 1970 in der "New York Times": "Von nun an werden die Republikaner nie mehr als 10 oder 20 Prozent der schwarzen Stimmen bekommen, mehr brauchen sie auch nicht."

Weiße Statusangst

In jenen Südstaaten mit einer sehr großen afroamerikanischen Minderheit war die Gegnerschaft der weißen Bevölkerungsmehrheit zum Ausbau der Rechte der Schwarzen besonders ausgeprägt. Goldwater verlor, obwohl im Süden durchaus erfolgreich, die Wahl 1964 gegen Amtsinhaber Johnson, weil der Rest der USA eine klar rassistische Botschaft ablehnte.

Philipp Adorf von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vergleicht die Eroberung der Südstaaten und die damit verbundene Transformation der Republikanischen Partei mit der Errichtung eines neuen Hauses und kommt zu folgender Arbeitsaufteilung: "Goldwater hob die Grube aus, während Nixon das Fundament legte. Doch es war Reagan, dessen Kandidatur und Präsidentschaft in den 1980ern ein gänzlich neues Heim errichtete, in dem sich die Partei mit einigen Modifikationen bis heute befindet. In diesem Bau residiert auch Trump - auch wenn er ihm durchaus seinen eigenen Anstrich gegeben hat."

Reagan habe den Süden aus der Kombinierung der Aspekte Rasse und Religion noch enger an die GOP gebunden. Er habe es nämlich verstanden, auch konservative Protestanten im Süden für die Republikaner zu gewinnen. Der frühere Demokrat Reagan erkannte übrigens lange vor Trump, dass die GOP ihr elitäres Big-Business-Image ablegen und zur Partei des "kleinen Mannes" werden müsse, um Erfolg bei der (weißen) Arbeiterschaft zu haben. Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung "Reagan-Democrats".

Ideologische Kluft

Seit den 1980ern hat sich die ideologische Kluft in den USA vertieft, was vor allem auf die zunehmende Radikalisierung der Republikaner zurückzuführen ist. Newt Gingrich, von 1995 bis 1999 republikanischer Sprecher des Repräsentantenhauses, stand für den Rechtspopulismus der "Republican Revolution" und eine Fundamentalopposition zur demokratischen Administration Bill Clintons. Eine Konsequenz des ideologischen Wandels der GOP war 2009 das Aufkommen der Tea Party, deren Repräsentanten Kompromisse mit politischen Gegnern als Verrat an amerikanischen Grundwerten anprangerten.

Das Gefühl einer Benachteiligung in der konservativen weißen Wählerschaft bereitete das Feld für einen nativistischen Demagogen wie Trump auf. In der Tea Party wurde verbreitet, der schwarze, demokratische Präsident Barack Obama (2008 bis 2016) sei außerhalb der USA zur Welt gekommen und damit gemäß Verfassung nicht rechtmäßiges Staatsoberhaupt. Trump sprang auf den Zug der "Birther"-Bewegung auf und zeigte sich dann als Präsident ebenso wie die Tea Party als Befürworter einer rigorosen Migrationspolitik. Er verstand es, Kriminalität mit ethnischen Minderheiten in Verbindung zu bringen, Einwanderer als Drogendealer und Vergewaltiger hinzustellen, und verkündete schließlich sogar einen "Muslim Ban".

Das Land erlebt aber einen großen demografischen Wandel. Spätestens 2050 werden die Weißen in der Minderheit gegenüber Latinos, Asiaten und Afroamerikanern sein. Der Wählerkoalition innerhalb der Demokratischen Partei kommt das entgegen. Ein weiteres großes Problem besteht für die stark nach rechts gerückten Republikaner, die sich auf weiße evangelikale konservative Wähler im Süden stützen, darin, dass der Rest der USA immer säkularer, politisch liberal-progressiver und ethnisch diverser wird.

Zukunft der US-Demokratie

Auch ohne Trump wird der Trumpismus, der vor allem bei Weißen mit niedrigem Bildungsgrad verfängt, vorerst in der GOP weiterleben. Dem demografischen Wandel versucht diese mit diversen Maßnahmen zum eigenen Machterhalt zu begegnen, etwa einer für sie günstigen Ziehung von Wahlkreisgrenzen oder Versuchen, vermeintlich demokratisch wählenden Angehörigen von Minderheiten das Ausüben des Wahlrechtes zu erschweren. Auch der Wertewandel der jungen Generation (Befürwortung der Homoehe und des Rechts auf Abtreibung, positive Einstellung zur Migration) stellt eine große Herausforderung für die Republikaner dar.

Unter den Trump-Anhängern herrscht eine Wagenburgmentalität mit der Konsequenz, dass im Kampf gegen den "Sozialismus" der Demokraten antidemokratische Politik, Autoritarismus und sogar Gewalt (Sturm aufs Capitol) toleriert werden, befeuert durch ein rechtes Mediennetzwerk mit Fox News an vorderster Front.

Der Autor Ezra Klein ("Der tiefe Graben. Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika") sieht die USA an einer Weggabelung: "Es ist ein Desaster, dass die Demokratie selbst zu einem parteipolitisch umstrittenen Thema geworden ist und die Republikaner alle Anstrengungen zur Ausweitung des Wahlrechtes als Verschwörung zur Schwächung ihrer Partei betrachten. Es ist möglich, dass ein demokratischeres Amerika ein Amerika der Demokraten wäre, doch es ist ebenso möglich, dass eine Republikanische Partei, die um mehr und verschiedenartigere Wähler konkurrieren müsste, die Aufgabe angehen würde, sich selbst zu reformieren, um diesen Wettbewerb zu gewinnen."

Der demokratische Präsident Joe Biden hat die bevorstehenden Midterm Elections zum Plebiszit über den Trumpismus erklärt, in dem er eine semifaschistische Bewegung sieht. Nicht nur für Biden steht die US-Demokratie auf dem Prüfstand.