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Auch nach dem erbrachten Nachweis der Gravitationswellen gibt der Kosmos Astrophysikern zahlreiche Rätsel auf.
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In der Physik hat die Wahrheit ein Ablaufdatum. Etwas übersteigert könnte man sagen, jede neue Theorie stößt ihre Vorgängerinnen um. Denn eine physikalische Erklärung gilt entweder so lange, bis eine bessere im Raum steht, oder bis ihre Bestätigung neue Fragen aufwirft. "Wir sind sehr aufgeregt, was als Nächstes kommt", sagte in diesem Sinn David Reitze vom Ligo-Forschungslabor, als er vor einer versammelten Forscherrunde der National Science Foundation in Washington verkündete, seinem Team sei der Nachweis von Gravitationswellen gelungen.
100 Jahre mussten vergehen, bis die Existenz von Gravitationswellen, eine der wichtigsten Konsequenzen von Albert Einsteins Relativitätstheorie, bestätigt werden konnte. Die Gravitationswellen zweier miteinander verschmelzender Schwarzer Löcher, die Forscher nun gemessen haben, sind nicht nur nobelpreisverdächtig, der Nachweis gilt als Beginn einer völlig neuen Ära der Gravitationswellen-Astronomie. Ein Feld, in dem es noch viele Fragen zu lösen und noch mehr Rätsel zu entwirren gibt. Mit den Gravitationswellen hat man dafür nun allerdings eine Art neues "Sinnesorgan" zur Beobachtung des Kosmos, um Ereignisse messen zu können, für die bisher keine wissenschaftlichen Möglichkeiten der Beobachtung zur Verfügung gestanden hat. "Nun können wir auch Dinge sehen, die vorher dunkel waren", erklärt der österreichische Physiker Reinhard Prix vom Max Planck Institut für Gravitationsphysik in Hannover.
Warum verschmelzen zwei schwarze Löcher?
Bei Gravitationswellen handelt es sich, wie berichtet, um Verzerrungen des Raumes als Folgen der Beschleunigung gewaltiger Massen - etwa bei Sternenexplosionen. Die Forscher messen Gravitationswellen als Abstandsveränderungen zwischen zwei Spiegeln mit Laserlicht. Zur Veranschaulichung können die Messungen auch in Schall übersetzt werden - im übertragenen Sinn kann man unsichtbare kosmische Ereignisse also "hören".
Gerade die Quelle des Ligo-Experiments, Schwarze Löcher, sind jedoch eine noch wenig getestete Einsteinsche Vorhersage. Sie sind die stärksten bekannten Effekte im Gravitationsfeld. Das bedeutet, dass Raum und Zeit so stark verkrümm sind, dass die Zeit stehen bleibt und nichts mehr dem Raum entweichen kann. "Wir nehmen zwar an, dass im Zentrum unserer Galaxie Millionen Sonnenmassen zum supermassiven Schwarzen Loch kollabiert sind. Aber bisher konnten wir die Theorie nicht überprüfen, weil wir den Ereignishorizont (und alles jenseits davon, Anm.) nicht sehen", so Prix.
Gravitationswellen-Messungen könnten hier künftig Klarheit bringen. Das Ligo-Team konnte die Schwingungen messen, die zwei Schwarze Löcher erzeugten, als sie miteinander verschmolzen und schließlich ein neues Schwarzes Loch bildeten. "Man könnte es vergleichen mit dem Ton einer Glocke in Gravitationswellen, der abklingt, wenn das neue Schwarze Loch in den Ruhezustand kommt", erklärt der Physiker. Für ihn ist die Quelle der Messung höchst interessant. "Dass es Schwarze Löcher in diesem Massenbereich von je 30 Sonnenmassen gibt, war bisher unklar. Wir wissen auch nicht, wie zwei Schwarze Löcher zu einem dritten verschmelzen."
Nehmen wir einen Stern im Volumen von vielen Sonnenmassen. Wenn er sein Brennmaterial aus Wasser- und Kohlenstoff verbraucht hat, kann er als Supernova explodieren und schließlich zum Schwarzen Loch werden. So weit, so klar. Zur Entstehung von verschmelzenden Doppel-Systemen kennt die Astrophysik aber nicht eine, sondern mindestens drei Theorien: 1.) Ein Stern explodiert, wird zum Schwarzen Loch und saugt einen zweiten Stern an, dem dann dasselbe passiert - das Resultat sind zwei Schwarze Löcher, 2.) zwei einzelne Sterne, die zu Schwarzen Löchern geworden sind, finden sich in einer Kollision, und 3.) bei der Explosion eines besonders großen Sterns können zwei Schwarze Löcher entstehen.
Das alles ist ein Geschmack davon, worüber sich Astrophysiker nun den Kopf zerbrechen. Anders als elektromagnetische Strahlen werden Gravitationswellen nicht durch die Wechselwirkungen mit Masse gebremst, sondern sie reisen durch Massen, Nebel und Galaxien hindurch. Die Forscher hoffen, dass ihre Messung ihnen mehr über entfernte Explosionen großer Massen und hohe Beschleunigungen verrät.
Bei Sternenexplosion brechen auch hochenergetische Gammablitze aus. Allerdings ist wenig über die Mechanismen bekannt, die diese hochenergetische Strahlung erzeugen. Eine Vermutung ist, dass zwei einander umkreisende Neutronensterne, die verschmelzen, Ausbrüche von Gammablitzen auslösen. Ein solches Ereignis wäre in Gravitationswellen sichtbar.
Geheimnisvolle Neutronensterne
Ein Neutronenstern ist ein Himmelsobjekt, dessen wesentlicher - und namensgebender - Bestandteil Neutronen sind. Er ist das Endstadium eines massereichen Sterns. Es handelt sich um eine Kugel mit dem - im kosmischen Maßstab geringen - Durchmesser von etwa 20 Kilometern, auf die sich eine Masse von ein bis zwei Sonnenmassen konzentriert.
"Im Inneren dieser enigmatischen Objekte treten dichtere Massen auf, als wir im Labor oder in Teilchenbeschleunigern erzeugen können", erklärt Prix. Die Materie nimmt Zustände an, die es auf der Erde nicht gibt, denn Neutronensterne sind die dichtesten bekannten Objekte ohne Ereignishorizont. Durch ihre Bobachtung in Gravitationswellen könnten die Forscher nun die innere Zusammensetzung dieser Objekte besser verstehen.
Gab es den Urknall? Oder gar mehrere?
Physiker suchen außerdem nach einem Hintergrundrauschen von Gravitationswellen, die vom Urknall ausgelöst wurden. Ähnlich wie eine Hintergrundstrahlung vom Big Bang im Mikrowellenbereich sichtbar ist, könnten Gravitationswellen Spuren der Geburt des Weltalls enthalten. Dass nämlich bei einer gewaltigen Explosion des Raums auch die Raumzeit mitschwingt, wäre nur logisch.
Allerdings ist auch der Urknall nur eine Hypothese. "Zwar eine, die blendend funktioniert, aber es gibt viel Spekulation, was der Urknall genau war und ob es davor etwas gab", sagt Prix. Der US-Teilchenphysiker David Nygren geht sogar so weit, andere mögliche Welten in den Raum zu stellen: "Vielleicht gibt es einen anderen Raum, ein anderes Universum und einen anderen Ort. Wir wissen es einfach nicht. Ich denke, dass wir von einer Theorie für alles noch sehr weit entfernt sind."
Die Physik kennt ein detailliertes Standardmodell zu den Kräften und Mechanismen, die die Welt ausmachen, wie wir sie kennen. Der Nachweis des Higgs-Boson, das allen Teilchen Masse verleiht, am Kernforschungszentrum Cern im Sommer 2013, gilt als die Krönung dieser Theorie.
Das Standardmodell der Physik erklärt, wie Neutronen und Protonen einander anhaften und wie sich Atomkerne bilden und wieder zerfallen. Es postuliert Elektrizität und Magnetismus, enthält jedoch weder Schwerkraft noch Quantenmechanik. Und es hat keine Erklärung für Dunkle Materie und Dunkle Energie, die stolze 95 Prozent unseres Universums ausmachen. "Beide Phänomene sind für das freie Auge unsichtbar, können aber vermutlich auch nicht in Gravitationswellen gemessen werden", vermutet Nygren.
Die dunklen Geheimnisse von Materie und Energie
Unbekannt ist, aus welchen Teilchen die mysteriöse Dunkle Materie besteht. Einer Theorie zufolge sind sie schwer und stabil - das heißt, sie zerfallen nicht und leisten somit einen Beitrag im Universum. Da Dunkle Materie nicht mit elektronischen Geräten messbar ist, nehmen die Forscher an, dass ihre Teilchen keine oder nur eine schwache elektromagnetische Wechselwirkung eingehen - wodurch sie nicht leuchten. Einzig die Wirkung ihrer Schwerkraft lässt darauf schließen, dass es fünf Mal so viel Dunkle wie sichtbare Materie gibt.
Ein noch größeres und in diesem Sinne noch dunkleres Geheimnis ist die Dunkle Energie. Anders als die unsichtbare Materieform, ist sie eine Eigenschaft des Raums selbst. "Wir erleben den Raum als statisch, aber der Urknall dehnte ihn aus", sagt Nygren. Zunächst nahm man an, dass Effekte der Schwerkraft diese Ausdehnung abbremsen würden. Ende der 1980er Jahre zeigten jedoch Beobachtungen von Supernovae, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Der Kosmos dehnt sich immer schneller aus. "Es muss also etwas geben, das den Weltraum auseinander schiebt", fasst der US-Physiker zusammen.
Einer gängigen Theorie zufolge zog die Materie sich an und lag irgendwann so weit auseinander, dass ihre Anziehungskraft in Relation zum "Zwischenraum" immer schwächer wurde. Vor etwa fünf Milliarden Jahren wurde dann das Bestreben, zu expandieren, stärker als alles andere. "Nach dieser Idee wird das Universum in 100 Milliarden einfach dunkel sein", sagt Nygren.
Wer diese Idee ungemütlich findet, der vergegenwärtige sich diese: Schon in den nächsten 1000 Jahren könnten sich auch auf der Erde die physikalischen Vorzeichen umkehren. Formationen von Lava-Gestein, das magnetisch ist, zeigen, dass sich das Erdmagnetfeld in der Vergangenheit immer wieder umgekehrt hat und dabei einem Zyklus folgt.