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Die rätselhafte russische Legion

Von Alexander Dworzak

Politik

Aufseiten der Ukraine kämpft ein eigener Verbund oppositioneller Russen. Vieles bleibt jedoch unklar.


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Männer aus den USA, Großbritannien, Schweden, Litauen, Mexiko und Indien: Sie alle posierten Anfang März im Schützengraben am Rande Kiews. Stolz präsentierte die ukrainische Armee damals die ersten Freiwilligen der sogenannten Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine und verbreitete das Foto. Um gegen Russlands Angriffskrieg zu bestehen, benötigt die Ukraine zwar in erster Linie Waffen aus dem Ausland. Freiwillige unterstreichen aber die internationale Unterstützung im Kampf gegen die Invasoren.

Das gilt insbesondere, wenn Russen zur militärischen Verteidigung der Ukraine ausrücken. Auf ihrer Tarnkleidung ist "Swoboda Rossii" angenäht, "Freiheit Russlands", darunter eine geballte Faust zu sehen. Im März wurden erste Aktivitäten publik, von 100 Kämpfern war die Rede. Eigenen Angaben zufolge besteht die Gruppe nun aus zwei kompletten Bataillonen, das wären bis zu 1.000 Mann. Sie sollen mit modernsten Waffen und Ausrüstungen ausgestattet sein. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Hochaktiv ist die Legion auf Telegram und Youtube. Dort werden regelmäßig Videos hochgeladen, zuletzt am Mittwoch. Darin tönt die Gruppe, in den vergangenen Wochen habe sich die Zahl derer, die sich anschließen wollen, verdreifacht. Aber auch Praxistipps im Kampfgeschehen zählen zum Repertoire, so wird die Versorgung von Wunden demonstriert. Ihre Motivation fasst die Legion in einem Satz zusammen: "In Gottes Namen, dieser Mann (Präsident Putin) darf nicht an der Macht bleiben."

"Von der Vergangenheit reinwaschen"

Im Gegensatz zu anderen Einheiten der Internationalen Legion, deren Mitglieder sich auch ohne Sturmhaube zeigen, legen die Russen großen Wert auf Anonymität. So wollten sie Familienmitglieder vor Racheakten schützen, heißt es. Auch gibt es kaum Informationen, wo die russischen Kämpfer eingesetzt werden. Spekulationen machten daher die Runde, bei der Legion handle es sich lediglich um eine Erfindung der Ukraine, um die russische Kriegsmoral zu untergraben.

Im Juni meldete sich dann Igor Wolobujew zu Wort und verkündete öffentlich seinen Seitenwechsel. Er diente mehr als 20 Jahre im Reich des Energieriesen Gazprom, die letzten sechs Jahre als Vizechef der Gazprombank. Als gebürtiger Ukrainer habe er nicht länger tatenlos zusehen könne, was Russland seinem Heimatland antue, erklärte Wolobujew seinen Kampf in der Legion: "Ich will mich von meiner russischen Vergangenheit reinwaschen."

Die Legion sei so gut wie sicher bei Kämpfen neben der ukrainischen Armee eingesetzt worden, vermeldete das britische Verteidigungsministerium Mitte Juni auf Twitter. Für die Existenz von "Swoboda Rossii" spricht auch, dass laut dem Portal "Telepolis" drei Personen in Russland verhaftet worden sind, die mit der Gruppierung in Verbindung stehen sollen. Zudem setzte das Parlament in Moskau den Gesetzgebungsprozess in Gang, um den Übertritt in einem "bewaffneten Konflikt" - Krieg herrscht der offiziellen russischen Sprachregelung zufolge weiterhin nicht - als Landesverrat zu sanktionieren. Bis zu 20 Jahre Haft drohen dann.

"Ich dachte, entweder sterbe ich als Besatzer und Mörder oder ich sterbe mit einem guten Gewissen. Also wechselte ich die Seiten", erklärte ein 26-Jähriger mit dem Decknamen "Arni" gegenüber der "Moscow Times". Auch in Gefangenenlagern würde die Legion Kämpfer rekrutieren, berichtete die Nachrichtenseite, die nach Kriegsbeginn ihren Sitz nach Amsterdam verlegte und in Russland mittlerweile blockiert ist. Von inneren Widerständen, gegen Landsleute zu kämpfen, erzählt dort ein Mann namens "Professor": "Aber ich kann nicht gegen meine Prinzipien verstoßen. Ich will, dass mein Land frei und demokratisch ist."

Von den Kämpfern der Legion wird angenommen, dass sie dem liberal-demokratischen Lager in Russland angehören. Nationalistische Kräfte begrüßten weithin den Einmarsch im Nachbarland und Präsident Wladimir Putins imperiale Ambitionen. Anders 2014 auf dem Maidan in Kiew: Bei der Revolution sympathisierten auch Kräfte vom rechten Rand aus Russland mit dem Aufstand gegen die korrupte politische Elite in der Ukraine. Die Herrschenden in Moskau sollten ebenfalls hinweggefegt werden - und der russische Vielvölkerstaat sollte zerfallen. Sogar auf dem Maidan waren die Nationalisten aus Russland präsent. Sie nannten sich "Russische Legion".