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Die Realmoritat des Josef F.

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Einige hundert Journalisten reisen zum Sensationsprozess in St. Pölten an. Sie als "Medienmeute" zu verteufeln ist weder gerecht noch ein effizientes Medienmanagement.


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Am kommenden Montag beginnt im Landesgericht St. Pölten der Prozess gegen "Josef F.". Den Familiennamen des unter anderem der Serienvergewaltigung, Blutschande, Sklaverei sowie eines Mordes angeklagten Amstetteners mit Rücksicht auf dessen Opfer zu verheimlichen, wird in journalistischen Branchenkreisen schon fast als Hyper-Seriosität betrachtet. Erstens kennt sowieso ziemlich jedermann in Österreich den Namen und zweitens legen sich die Opfer - Inzestkinder - neue Namen zu, um möglichst unauffällig ihr neues Leben zu organisieren.

Dennoch - Rücksichtnahme auf die Opfer wird angesichts des Andrangs von weit mehr als hundert Medienleuten aus dem In- und Ausland auch in der Prozesswoche gefordert sein. Ein "Medienhype" ist im Zusammenhang mit menschlichen Tragödien, wie sie Josef F. laut Anklage 24 Jahre lang angerichtet hat, ohne Zweifel problematisch. Die Tragödie kann in der modernen Medienindustrie leider auch den Rohstoff hergeben, um unbarmherzig Auflagen und Quoten zu steigern.

Die Betonung liegt auf dem Wörtchen "auch". Es ist nämlich völlig falsch, die Journalisten und Kameraleute, die in St. Pölten der Dinge harren, pauschal und mit geradezu xenophobem Unterton als "Medienmeute" zu diffamieren. Sie lauern zur überwiegenden Mehrheit nicht mit Fotoapparaten auf Bäumen oder schleichen sich in Spitalszimmer ein, sondern wollen in Ausübung ihres Berufes nichts als berichten. Natürlich möglichst umfassend, rasch und am liebsten auch mit einem Schuss "Exklusivität", aber gewiss nicht bar jeder Verantwortung.

Darüber hinaus kommt es freilich regelmäßig zu den unerträglichen Ausreißern nackter Sensationsgier, zu der unlängst die britische Boulevardzeitung "Sun" fähig war, indem sie Fotos der Inzestkinder veröffentlichte. Auch in Österreich ist das Gebot des Opferschutzes mehrfach sträflich verletzt worden, weil Skandalblätter ihre Dramatisierungskünste mit der Sensationslust eines breiten Publikums gewinnbringend zur Deckung brachten.

Wie grau die Grauzone zwischen "erlaubt" und "unstatthaft" ist, lässt die Abwicklung des Konkursfalles Josef F. erkennen. Der Masseverwalter hat die Aufgabe, von vorhandenen Vermögenswerten des Angeklagten möglichst viel für dessen Erben - die Opfer - zu sichern. Es wird diskutiert, ob man von zahlungskräftigen und -willigen Fernsehstationen hohe Summen einstreifen könnte, wenn man ihnen erlaubte, das Verlies zu filmen, in dem F. seine familiären Opfer malträtierte. Freude macht diese Vorstellung nicht, denn der Scheckbuchjournalismus bekäme eine Art amtliche Weihe. Aber die Opfer hätten keinen Schaden, sondern Nutzen. Wie entscheiden? Kein Mediengesetz kann bei solchen kasuistischen Problemstellungen helfen.

Grundsätzlich ist es weit vernünftiger, den Bedürfnissen von Zeitungen und TV-Stationen mittels Medienmanagement entgegenzukommen und somit der sachlichen Berichterstattung selbst dann eine Chance zu geben, wenn der Prozess begreiflicherweise oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden muss.

So wie es Realsatiren gibt, gibt es leider auch Realmoritaten. Die Geschichte des Josef F. und seiner Opfer ist eine solche. Darüber wird berichtet, und zwar weltweit, weil Josef F. nicht primär ein Amstettener ist, sondern in seiner verbrecherisch-abartigen Potenz in jedem Land dieser Erde möglich wäre - so unvorstellbar das ist, was er angerichtet hat.