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"Die Rebellen sollen gehen"

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

In Goma wächst die Wut auf die M23, die kaum erfüllbare Abzugsbedingungen stellt.


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Goma. Frustriert sitzen fünf junge Männer an einer Straßenecke in Gomas Innenstadt unter einem Sonnenschirm und rauchen. Vor wenigen Minuten haben die Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) erklärt, dass sie sich nicht aus der ostkongolesischen Provinzhauptstadt zurückziehen. Dies hatte vor zwei Tagen eine Resolution der Staats- und Regierungschefs der ICGLR (Internationale Konferenz der Großen Seen) als Ultimatum gegenüber den M23-Rebellen gesetzt: Die Kämpfer sollen innerhalb von 48 Stunden die Millionenstadt räumen, die sie vor einer Woche eingenommen hatten.

Die jungen Männer schimpfen, sie sind sichtlich genervt: "Die Rebellen sollen gehen, sie haben uns als Geisel genommen", sagen sie. Sie wollen ihre Namen nicht nennen und winken ab, als sie merken, dass Kämpfer an der Straßenecke aufmarschieren. "Niemand darf etwas Schlechtes gegen sie sagen", murmeln sie.

Dann bricht am großen Kreisverkehr im Stadtzentrum das Chaos aus: Einwohner versammeln sich, sie sehen neugierig und wütend zugleich aus. UNO-Blauhelme marschieren auf und umzingeln die Filiale der Zentralbank in Goma. Dort sitzen seit Tagen M23-Kämpfer im Hof, ein großer Lastwagen parkt dahinter. Männer in Zivil tragen Säcke heraus. Gerüchte gehen um, dass die M23 die Banktresore ausrauben.

Was und wem man glauben soll, wird für die Menschen in Goma immer undurchsichtiger, knapp eine Woche nach der Eroberung verbreitet auch die M23 zunehmend verwirrende Nachrichten: Der politische Führer der M23, Jean-Marie Runiga, hielt am Morgen eine große, gutbesuchte Pressekonferenz im größten Hotel in Goma, dem Ihuzi. Gerade war er aus Ugandas Hauptstadt Kampala zurückgekehrt, wo er zum ersten Mal seit Beginn der Rebellion im Ostkongo im Mai mit Kongos Präsident Joseph Kabila verhandelt oder zumindest über potenzielle Verhandlungen diskutiert hat. Nach seiner Rückkehr erklärt er: "Ein Abzug aus Goma kann nicht die Bedingung von Verhandlungen, sondern nur das Ergebnis von diesen sein." Dann zählt er knapp über eine Stunde Bedingungen auf, die die Regierung erfüllen muss, um den Abzug der M23-Rebellen zu bewirken. Zum Beispiel: die Freilassung aller politischen Gefangenen, ein verstärkter Kampf gegen die Korruption, die Verbesserung der Lebensbedingungen sowie der Infrastruktur im Kongo, die unabhängige Untersuchung der gefälschten Wahlen im vergangenen Jahr. Von der politischen Realität im Kongo sind die elf Forderungen allerdings so weit weg, dass sie wohl auch dann nicht erfüllt werden würden, wenn die M23 für immer in Goma bleibt. Damit wird dann auch rasch die eigentlich Botschaft Runigas klar: Die M23, die bereits eine eigene Verwaltungsstruktur etabliert hat, wird die Stadt nicht verlassen.

Zerstrittene Militärführung

Während Runiga bei seiner Pressekonferenz den Abzug an schwer erfüllbare Bedingungen knüpft, berichtet die militärische Führung der M23 etwas ganz anderes: "Wir sind gerade dabei, uns zurückzuziehen", sagt ein hoher M23-Offizier gegenüber der "Wiener Zeitung" am Telefon. Seine Männer würden gerade den Ort Masisi verlassen, fügt er hinzu. Doch der Straßenlärm um ihn herum erlaubt keine weiteren Fragen, die Leitung bricht ab.

Es scheint, als sei die M23-Rebellion komplett in sich gespalten. Nicht nur zwischen politischer und militärischer Führung, sondern auch innerhalb der Militärspitze. In der Pressekonferenz wurde verlautet, dass Oberst Bauduin ebenfalls zum Generalbrigadier innerhalb der M23 ernannt wurde. Es ist derselbe Rang, den Militärführer Makenga innehat. Doch Bauduin gilt als Gefolgsmann von General Bosco Ntaganda, dem geheimen Führer im Hintergrund, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist.

Doch nicht nur in Goma wird von Tag zu Tag klarer, dass der Ostkongo endgültig im Strudel der Bürgerkriegswirren zu ertrinken droht. "Wir müssen froh sein, dass wir noch am Leben sind", sagt der Journalist Pete Jones als er sich nach der Rückkehr ins sichere Hotel in einen Stuhl fallen lässt, noch immer kreidebleich vor Schreck. Was er in der 500 Kilometer entfernten Kleinstadt Minova gesehen hat, hat ihm den Atem verschlagen: "Dort plündern und vergewaltigen tausende sturzbetrunkene Soldaten, es herrscht das totale Chaos", sagt er: "Sie waren uns gegenüber sehr aggressiv und wir sind regelrecht geflüchtet", fügt er hinzu.

Täglich kommen neue Schreckensmeldungen aus der Kleinstadt am Kiwu-See. Nachdem sich die Regierungstruppen aus Goma zurückgezogen hatten, versammelten sich die geschlagenen Einheiten in Minova. Wie viele, das kann niemand genau sagen, nicht einmal die dort postierten Kommandeure. "Wir haben den Überblick total verloren", berichtet ein Offizier am Telefon. "Dort, wo die Soldaten in den Baracken und auf den Feldern betrunken herumlungern, gibt es keine Kommandeure mehr", sagt Journalist Jones. "Die Soldaten respektieren ihre Vorgesetzten nicht mehr, die Kommandokette ist total zusammengebrochen", berichtet auch ein UN-Angestellter, der in Minova stationiert ist. Er habe vergangene Nacht Schüsse gehört. Die Bevölkerung flüchte sich nachts aus Angst vor den Soldaten in den Busch. "Die Leute berichten von Vergewaltigungen und willkürlichen Tötungen."