Medientheoretiker Pörksen spricht nicht von "postfaktischem Zeitalter", sieht aber "Wahrheits- und Vertrauenskrise".
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"Klima – Seismograph für Natur & Gesellschaft" ist der Titel des diesjährigen Symposions in Dürnstein, als Redner zu Gast war der renommierte Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen, der zum Thema "Fakt und Fake. Wissenschaftsskepsis, Verschwörungsmythen und die neue Macht der Desinformation im digitalen Zeitalter" referierte.
Pörksen brachte das Beispiel eines Ukrainers, der in Kiew unter russischem Beschuss steht, dessen Vater aber in Russland wohnt. Nachdem sich der Vater tagelang telefonisch nicht meldet, um sich nach seinem Sohn zu erkundigen, greift dieser selbst zum Telefon. Dabei stellt sich heraus, dass der Vater nicht weiß, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Er ist vielmehr der Ansicht, dass Präsident Wladimir Putin die Ukrainer von einer "faschistischen Führungsclique" befreit. Der verzweifelte Sohn ist nicht in der Lage, den Vater davon zu überzeugen, dass Putin einen mörderischen Krieg in der Ukraine angezettelt hat, denn der vertraut der offiziellen Propaganda. Es braucht Tage und unzählige Beweise, bis die Gewissheit des Vaters die ersten Risse bekommt, berichtet Pörksen, bis er akzeptieren kann, dass tatsächlich Zivilisten sterben.
Doch leben wir deshalb tatsächlich in einem "Postfaktischen Zeitalter"? Diese Diagnose ist für Pörksen "vorschnell", sie gehe davon aus, dass es die "Phase der Wahrheit" einst wirklich gegeben habe. Pörksen spricht aktuell lieber von einer "Wahrheits- und Vertrauenskrise".
"Fake News" seien nur oberflächliche Phänomene einer tiefgreifenden Medienrevolution, so der Wissenschafter. Informationen würde über Soziale Medien in rasender Geschwindigkeit verbreitet, das führe medial zu einem Konflikt zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit. Denn, so Pörksen: "Wahrheit braucht Zeit". Dazu komme der Umstand, dass Menschen im Angesicht einer gefühlten oder realen Gefahr Gewissheit suchen würden. Durch die aktuelle Informationsflut bestehe aber die Gefahr, dass sich Scheingewissheiten zu Wahrheiten verdichteten.
"Diktat der Interessantheit"
Dazu kommt, dass im Netz durch "Echtzeit-Quoten" in der Sekunde feststellbar ist, was die Mehrheit der Menschen interessiert. Damit, so Pörksen, gerate das "Diktat der Interessantheit" in Konflikt mit dem "Prinzip der Relevanz". Wobei Interessantheit Relevanz klar besiege was zur Folge hat, dass eine Mehrheit der Konsumenten mit großer Begeisterung banale Nebensächlichkeiten konsumieren.
Der Möglichkeit, massenhaft Desinformation zu verbreiten, sind so Tür und Tor geöffnet. In einem "Deep-Fake-Video" sei etwa zu sehen, wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj die Ukrainer zur Kapitulation aufrufe. Der "Wille zur Lüge und zur Macht" sei enorm, so Pörksen, die Gesellschaft werde regelrecht "unterspült".
Einer "Herrschaft der Wissenden" erteilt Pörksen eine Absage, das wäre ein Versuch, die Demokratie durch ihre Abschaffung retten zu wollen. Pörksens Lösungsmodell ist ein anderes: Er setzt der "digitalen" die "redaktionelle" Gesellschaft entgegen mit gutem Journalismus, der Fakten überprüft und dann erst berichtet, skeptisch ist und in einem "Zwang zur Transparenz" die Art und Weise seines Vorgehens offenlegt. Pörksen schlägt in diesem Zusammenhang ein Schulfach "Medien und Machtanalyse" vor, wo Kinder zu kritischen Nutzern gebildet werden.