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"Die Reform bringt schlankere Strukturen"

Von Brigitte Pechar

Politik

Gesundheitsökonom Czypionka findet Gutes und nicht so Gutes im Sozialversicherungsreformwerk der Bundesregierung.


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"Wiener Zeitung":Die Regierung hat bei der Reform der Sozialversicherung im Wesentlichen die neun Gebietskrankenkassen zusammengelegt. Wie sinnvoll ist eine solche Reform?

Thomas Czypionka: Bei dieser Reform ist nicht alles gut, es ist aber auch nicht alles schlecht. Es ist im Wesentlichen eine Trennung der Versicherten in Privatangestellte, Selbständige und Beamte erfolgt. Das halte ich nicht für optimal. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt die Zusammenlegung aller Versicherten. Aber dazu hätte die Regierung eine Zweidrittelmehrheit gebraucht, denn der Verfassungsgerichtshof lässt eine Vermischung der Versichertengemeinschaft nicht zu. Eine Zustimmung von SPÖ oder Neos hat sich aber nicht abgezeichnet.

Bei der Debatte im Nationalrat haben die einen von der größten Reform aller Zeiten, die anderen von sieben Millionen Verlierern gesprochen. Was ist es wirklich?

Die Reform bringt sicherlich eine Vereinfachung in der Verwaltung. Die bisherige große Zahl an Funktionären hat die Verwaltung schwerfällig gemacht.

Dem könnte man entgegenhalten, dass sich eine Selbstverwaltung eben dadurch auszeichnet, dass eine Vielzahl an - zumeist unbezahlten - Funktionären die Interessen der Versicherten in den Versicherungsgremien vertritt.

Ja, aber Entscheidungen sollten heute stärker auf Evidenz basieren und nicht so sehr auf Interventionen.

Tatsächlich werden aber in den Gremien die Mehrheitsverhältnisse umgedreht. Hatten bisher die Arbeitnehmervertreter mehrheitlich das Sagen, wird das künftig ein 50:50-Verhältnis zu den Arbeitgebervertretern sein. Im Hauptverband wurde ja das Mehrheitsverhältnis bereits unter Schwarz-Blau I zugunsten der Arbeitgebervertreter verändert.

Richtig ist, dass die Mehrheit der Versicherten Dienstnehmer sind. Allerdings zahlen die Dienstgeber die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge. Und sie haben in gewisser Weise eine Bremsfunktion gegenüber den Ausgaben. Wenn man so will, bilden die Dienstgebervertreter ein Gegengewicht.

Die Regierung vermeidet ihr ursprüngliches Wording von der Patientenmilliarde mittlerweile. Aber dennoch soll bis zum Jahr 2023 eine Milliarde Euro eingespart werden. Gleichzeitig ist nicht zu erfahren, wie hoch die Kosten der Fusion sein werden. Wie ist das zu beurteilen? Wird das System billiger?

Ich hätte anstelle der Regierung nicht mit den Kosten argumentiert. Denn jedes Vorhaben kostet zu Beginn der Implementierung mehr. Solche Fusionen muss man auf lange Sicht betrachten. Eine Milliarde sparen oder nicht - das ist der falsche Fokus.

Ist die Reform jetzt gut oder doch nicht so gut?

Die Güte der Reform wird sich daran messen, ob die neue Struktur flexibleres und effizienteres Arbeiten zulässt. Und wie eine Balance zwischen Zentralismus und Subsidiarität gefunden werden kann. Denn für die Gestaltung der Versorgung der Versicherten ist Subsidiarität elementar. Andererseits werden andere Bereiche wie die Vereinheitlichung von Leistungen oder Honoraren zentral geregelt.

Die Länder verweisen immer darauf, dass die Leistungen ihrer Versicherten im Land bleiben. Wie soll dann ein Ausgleich erfolgen?

Für 2020 muss ein Budget erstellt werden. Die Landeskassen bekommen die Beiträge ihres Landes. Aus meiner Sicht müssten auch die sogenannten Ersätze für Leistungsaufwände (für die Mindestsicherungsbezieher, die Arbeitslosen oder die Kinder sowie der größte Brocken der Mehrwertsteuerrückvergütung für Medikamente) ihrem Zweck entsprechend in die Landesstelle folgen. Dann bleibt aber kaum Spielraum für den Solidarausgleich.

Thomas Czypionka (42) studierte in Wien Medizin. Er ist Gesundheitsökonom und leitet am Institut für Höhere Studien die Abteilung Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik.