Zum Hauptinhalt springen

Die Regierung geht, die Krise bleibt

Von WZ-Korrespondent Frank Stier

Politik

Der Rücktritt der bulgarischen Regierung wurde vom Parlament angenommen. Dass sich das Land nun stabilisiert, ist aber unwahrscheinlich.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sofia. Mehr als ein Jahr lang zogen die Demonstranten in Bulgariens Hauptstadt Sofia allabendlich an Ministerrat und Parlament vorbei und riefen "Ostavka, Ostavka!" (Rücktritt, Rücktritt!); am Mittwochabend konnten sie ihren Schlachtruf nun ändern in "Pobeda, Pobeda!" (Sieg, Sieg!). Eine Minute vor 18 Uhr hatte Bulgariens Ministerpräsident Plamen Orescharski den Rücktritt seines Kabinetts erklärt, die 42. bulgarische Volksversammlung hat ihn am Donnerstag mit großer Mehrheit angenommen.

Mit 420 Tagen hat Regierungschef Orescharski die kürzeste Amtszeit seit dem Sturz des kommunistischen Regimes absolviert. Seit der umstrittenen Ernennung des Medien-Oligarchen Deljan Peevski zum obersten Geheimdienstchef am 14. Juni 2013 stand die Minderheitsregierung aus Vertretern der "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP) und der Partei der bulgarischen Türken (DPS) schwer unter Druck. Letztlich aber erwirkte nicht der Volkszorn Orescharskis Sturz, sondern das politische Kalkül von DPS-Chef Ljutvi Mestan.

"Die politische Lebensfähigkeit dieses Kabinett ist erschöpft", analysierte Mestan nach der EU-Wahl , bei der seine Partei fast genauso viel Stimmen errungen hat wie der sozialistische Koalitionspartner. Einige Sozialisten unterstellten dem DPS-Vorsitzenden daraufhin, seine Partei als Bündnispartner der rechtsgerichteten Gerb in Position zu bringen. Die Partei von Ex-Premier Boiko Borissov hat sich in allen Wahlen der vergangenen Jahre als stärkste politische Kraft behauptet, nach der letzten Wahl aber als koalitionsunfähig erwiesen.

Politisch war das vergangene Jahr für Bulgarien ein verlorenes. Die faktische Pattsituation zwischen den im Parlament vertretenen Parteien verunmöglichte gesetzliche Reforminitiativen etwa für das Gesundheitswesen, die Bildung oder die Staatsverwaltung. Parlamentssitzungen fielen aufgrund mangelnden Sitzungsquorums oft aus.

Ob sich die politische Stagnation durch die für den 5. Oktober 2014 angesetzten Parlamentswahlen auflösen lässt, ist ungewiss. Meinungsumfragen zufolge dürfte Gerb erneut stärkste politische Kraft vor den Sozialisten und der DPS werden. Und noch eine Partei steht vor dem Einzug ins Parlament: Die des Ex-TV-Moderators Nikolai Barekov. Sie nennt sich "Bulgarien ohne Zensur" und finanzieren soll sie der Chef der ordentlich in Schieflage geratenen Corporate Commercial Bank (KTB), Tsvetan Vassilev. Die Bewegung gilt als ein Projekt, das vorrangig der Verfolgung von Machtinteressen dient. So lässt das von den Meinungsforschern prognostizierte Szenario keinen demokratischen Frühling für Bulgariens Parlamentarismus erwarten. Und das inmitten schwieriger Zeiten: Die Bankenkrise mit dem Ansturm verunsicherter Kunden auf die KTB und ein weiteres Kreditinstitut im Juni hat gezeigt, wie brüchig Bulgariens in den vergangenen Jahren stets gelobte Finanzstabilität ist.