Im Bregenzerwald in Vorarlberg verbinden sich alte Handwerkstraditionen mit neuen baukünstlerischen Konzepten zu einer Architektur mit eigenständiger Prägung.
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Erst war es nur eine scheinbar verrückte Idee zu vorgerückter Stunde: Sieben internationale Architekten für die Gestaltung sieben neuer Bushaltestellen im Ort gewinnen. Doch die kleine Gemeinde Krumbach im Bregenzerwald ließ nicht locker - und am 26. Oktober wurden die sieben "Wartehüsles" im Rahmen eines Dorffestes eröffnet. Entworfen von Architekten aus Chile, Skandinavien, Russland, Japan, sogar der Pritzker-Preisträger 2012 aus China war dabei. Ausgeführt werden sie von heimischen Handwerksbetrieben.
Im Bregenzerwald zählen Architektur und Handwerk zum Kulturerbe. Auch wenn in der Talschaft hinter Bregenz am Bodensee 30.000 Kühe auf 30.000 Einwohner kommen, dominiert dort nicht die Landwirtschaft. 40 Prozent der Menschen sind im Handwerk tätig. Die Tradition begann mit den Barockbaumeistern der Region, die im 17. Jahrhundert auszogen, in Süddeutschland, Frankreich und der Schweiz Kirchen bauten und viel Erfahrung heimbrachten. Die Weltoffenheit ist geblieben, und damit die Verbindung zur internationalen Architektur.
Auch die älteren Wartehäuschen aus Holz und Glas sind bemerkenswerter als anderswo: Sie wurden vor 15 Jahren vom Vorarlberger Architekten Hermann Kaufmann entworfen und erinnern mit ihren Tonnendächlein an die 1980 eingestellte Schmalspurbahn, das "Wälderbähnle", die Hauptverkehrsader durch die Talschaft neben der Straße, die, wie zu jener Zeit vielerorts üblich, durch Autobusse ersetzt wurde. Doch sind diese Haltestellen-Hütten in die Jahre gekommen und wurden nun ersetzt.
Veredelte Natur
Obwohl die Krumbacher den sieben Angesprochenen nur einen Arbeitsurlaub im Bregenzerwald als Entlohnung bieten konnten, hatten diese innerhalb kürzester Zeit zugesagt, die Region erkundet und soeben ihre Entwürfe vorgelegt: Einer zitiert die typische Kassettendecke eines Wälderhauses für "sein" Wartehäuschen, ein anderer die ortsübliche Fassadenverkleidung mit Schindeln.
Die sind das Wahrzeichen des Bregenzerwalds. Für den Menschen veredelte Natur, die über die eigene Färbung ihr Leben erzählt: Leuchten die Holzbrettchen goldgelb, dann sind sie noch frisch. Grau sind sie an der West-, der Wetterseite, weil sie dort dem Regen ausgesetzt sind, silbern, wie im Alter ergraut. Stumpf wirkt dann die Fassade, für den Nichtkenner verstaubt und nachlässig.
Je mehr Sommer die Schindeln erlebt haben, umso dunkler werden sie durch Sonnenbestrahlung und Hitze, bis sie schwarz sind wie die Wände einer Selchkammer. Fischschuppen ähnlich überlappen sie sich an den Hauswänden in drei Lagen, nach unten abgeschrägt, damit der Regen abrinnt. Der Vorteil: Schindelfassaden müssen nicht gepflegt werden. Solchen Traditionen ist das Handwerk noch heute verbunden, verpackt sie aber gleichzeitig in modernes Design, wie man es sonst nur aus Großstädten kennt: funktionell, klar und zurückhaltend. Zu überprüfen sind diese Fertigkeiten im "werkraum bregenzerwald", der 2013 in Andelsbuch, mitten im Bregenzerwald, eröffnet wurde.
Selbstbewusst hatten 80 als "Werkraum" vereinigte Betriebe den Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor beauftragt, für sie einen Schauraum zu bauen: Ein schwarzes Flachdach aus Holz scheint über den Glaswänden zu schweben. Durch sie sieht man auf die sanften Hänge rundum. Von draußen fällt der Blick auf die Ausstellungsstücke der einzelnen Mitglieder, mit denen sich diese für Aufträge empfehlen.
Da steht etwa ein hölzernes Vogelhäuschen, das sich beim Aufklappen als Schnaps-Bar entpuppt und verschmitzt als "Hausapotheke" bezeichnet wird. Ein Bett, dessen Kopfteil mit Furnierstickerei verziert ist. Eine Badewanne aus Kupfer mit Holzverkleidung. Eine kleine Feldküche, die mit eingebautem Melkeimer augenzwinkernd einen regionalen Bezug herstellt. Ein Fußboden, dessen mittels Gattersäge geriffelte Oberfläche eine neue Ästhetik von Fußgefühl vermitteln soll.
Der Unkundige nimmt lediglich in einen Rahmen gefasste lange Bretter, die von der Decke des Schauraums hängen, wahr. Renate Breuß hingegen, Geschäftsführerin des "werkraum bregenzerwald", streicht fast ehrfurchtsvoll über das Holz: Es handle sich um einen Barfußboden aus Weißtanne, sagt sie. Der Wuchs des ganzen Baumes wurde dafür ausgenutzt, eine Methode, wie sie schon im Mittelalter angewendet wurde. "Das bedingt aber die richtige Schlägerung, dass man die Mondphasen beachtet und dann das Holz fachgerecht über Jahre lagert."
Bodenleger ist nicht gleich Bodenleger. Im Bregenzerwald schon gar nicht. Dort ist er im konkreten Fall auch ausgebildeter Förster und kennt seine Bäume, ihre Befindlichkeiten, ihre Stärken. Er weiß, welches Holz wie wirkt, wie reagiert. Holz ist dem Wälder täglicher Begleiter. Als Roh- und Werkstoff, Lebens-Mittel und Garant für Wohlbefinden.
Neben den Tischlern sind auch die anderen Handwerker Fachleute auf ihrem Gebiet. Dabei steht Funktionalität im Vordergrund, Verspieltheit ist nicht Sache der Vorarlberger. Das bezeugt eine Hängeküche ebenso wie ein aus Beton gegossener Ofen, dessen Werkstoff als Wärmespeicher dient. Eine Schneiderin, die sich früher mit dem Nähen von Musiker-Uniformen über Wasser gehalten hatte, präsentiert sich im Werkraum mit Arbeitskleidung für Tischler, die sie gemeinsam mit einem Tischler entwickelt hat: Die Hose hat etwa keine Knöpfe, damit Werkstücke nicht zerkratzt werden können.
Das so genannte "Albrett" aus Bergahorn wiederum unterscheidet sich von einem üblichen Schneidbrett durch seine Keilform, wodurch bestimmte Handgriffe in der Küche schon aufgrund dieses kleinen physikalischen Kniffs besser gelingen.
Immer schon habe es eine tatkräftige Handwerkerschaft im Bregenzerwald gegeben, die über den Tellerrand hinausgeschaut habe, sagt Renate Breuß. Handwerk und Architektur arbeiten hier zusammen, fordern einander in ihrer Kreativität heraus. In jedem Ort, durch den man kommt, fällt es auf: Nicht Häuser im Tiroler Stil werden da errichtet, nicht Pseudo-Alpines von der Stange, sondern originelle Wohnbauten in Form von Würfeln, Kuben oder Quadern, mit Holz und Glas als vorherrschenden Materialien. Manchem alten Bauernhof wurde zwischen Wohn- und Stalltrakt mutig eine Glasfassade eingezogen, anderen Gebäuden eine ungewöhnliche Garage drangesetzt. Selbst Feuerwehrhäuser oder Altstoffzentren erhalten spezielle Gestaltungen.
Hell und schlicht
In Sulzberg strahlen die Schindeln des neuen Gemeindehauses noch hell. Es stellt sich als freundlicher Würfel dar, in dem es innen noch nach Holz riecht. Hell sind die Räume, schlicht und übersichtlich, alles aus heimischem Holz gefertigt. Das Raumklima ist angenehm. Werte wolle man mit solchen öffentlichen Bauten schaffen, sagt Bürgermeister Helmut Blank.
Sulzberg hat eine besondere Tradition in der Architektur: Die weithin sichtbare Kirche hat Alois Negrelli, der Erbauer des Suezkanals, im klassizistischen Stil erneuert, als er für die Rheinregulierung in Vorarlberg arbeitete.
Bürgermeister Blank spricht vom Vorbildcharakter öffentlicher Bauten: "Wenn die Leute sehen, das funktioniert und ist auch ökologisch und ökonomisch, und wenn sie etwa das Holz unbehandelt lassen, dann freut es uns, dass die Privaten mitziehen. Das gibt dann dem Ort einen gewissen Charakter."
Einer der Privaten, die sich der Erfahrungen des Handwerks bedienen, ist Dietmar Nussbaumer: Ihm gehört das Hotel Krone in Hittisau, erstes Haus am Platz, gegenüber der Kirche. Hittisau liegt unweit der deutschen Grenze. Die Krone ist ein 175 Jahre altes Wälderhaus in Familienbesitz, das die Eigentümer vor fünf Jahren umgebaut haben. Den Plan machte ein befreundeter Architekt, umgesetzt wurde er von mehr als einem Dutzend Handwerksbetriebe des Werkraums. Die Besitzer entschieden, Alt und Neu so zu verbinden, dass das Hotel möglichst originalgetreu renoviert wird. Mit geölten Eichenböden etwa und unbehandelten Holzwänden.
"Das alte Haus hat vorgegeben, was zu tun ist", sagt Dietmar Nussbaumer. "Wir versuchten uns ihm unterzuordnen." Alles auszuräumen und neu einzurichten wäre der falsche Weg, meint er. Behutsam wurde Altes erneuert und Zeitgemäßes hinzugefügt. So wurde das Haus statt mit Dämmstoffen mit Schafwolle gedämmt.
Auch sonst ging man in der Krone eigene Wege: "Wir sind ein Gasthof und kein Ausstellungsraum", sagt Nussbaumer. "Das Wichtigste sind die Menschen." Bett und Sanitärbereich komme in einem Hotel die erste Bedeutung zu, weshalb der Umbau in erster Linie darauf Bedacht nahm. Fernsehapparate gibt es hingegen nicht im Zimmer, nur auf Wunsch. Eine Tatsache, weshalb der Krone lange ihr vierter Stern verwehrt blieb, wie der Hotelier erzählt. Herzblut stecke in seinem Haus und nicht Industrieware, fügt er hinzu.
Viel wurde beim Umbau gemeinsam getüftelt, teilweise ungewöhnlichen Lösungen gefolgt - der Bauherr gemeinsam mit Architekt und Handwerkern. So hat etwa der Schmied des Ortes einen Weinschrank wie ein Fenster in die Wand gebaut, durch das man aus der Wirtsstube zwischen Flaschen von Jamek und Bründlmayer in den Vorraum und bis zur Küche blickt. Vor zwei Jahren wurde die Rezeption umgebaut, da eiferten Polsterer und Schreiner, wer das dominantere Möbel im Raum aufstellt.
Die Handwerker spielten bei diesem Auftritt als "Werkraum" ihre traditionellen Fähigkeiten aus, sie arbeiteten zusammen wie in einer kleinen Bauhütte. Das ging nur, weil man sich auf Augenhöhe begegnete, sagt Nussbaumer. Was wohl nur möglich ist, weil im Bregenzerwald keine internationalen Ketten auftreten: Nicht als Hotels, nicht als Industrie. Wo jeder jeden kennt und kurze Wege langwierige Projektänderungen ersetzen. Wo Konkurrenz als befruchtend und nicht existenzgefährdend gelebt wird. Vielleicht ist die Region ein funktionierender Gegenentwurf zur globalisierten Welt.
Stefan May, geboren 1961, lebt als Jurist, Journalist und Autor in Berlin und Wien und schreibt regelmäßig Reportagen fürs "extra".