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Die Reichen unter uns leben länger

Von Petra Tempfer

Wissen

10.000 über 50-jährige Personen getestet. | Resultat: DHEA-Hormon bei gesundem Lebensstil und vielseitigen Interessen vermehrt ausgeschüttet. | Kein direkter Zusammenhang zwischen Reichtum und Glück. | Wien. Ein Pelzmantel, ein schneller Sportwagen, eine Villa und - ein langes Leben, um sich daran zu erfreuen: Was wie ein Märchen klingt, haben Forscher des University College London wissenschaftlich belegt. Seit 2004 haben sie 10.000 über 50-jährige Personen getestet und kamen nun zu dem Ergebnis, dass all jene, die weniger Geldsorgen hatten, mehr "Jungbrunnen-Hormon" produzierten. Dehydroepiandrosteron (DHEA) wird dieses Lebenselixier wissenschaftlich genannt. Es schützt den Körper vor unnötiger Energievergeudung, wodurch sich das Leben verlängert.


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Laut Studienleiter Michael Gideon Marmot sind es gerade die Vorzüge des Reichtums, die die Produktion von DHEA fördern. Konkret spricht er damit eine gesunde Ernährung, weniger Stress, mehr Reisen, Hobbys, Sport sowie eine enge Beziehung zu Verwandten und Freunden an. Mehr DHEA im Blut bringt laut Marmot weitere Vorzüge mit sich. Es verlängere nicht nur das Leben, sondern erhöhe auch die Gedächtnisleistungen und die Fähigkeit, mentale Aufgaben zu bewältigen.

"In erster Linie ist es aber für den Energiehaushalt des Körpers verantwortlich. Und Energieverbrauch und Altern sind unweigerlich miteinander verbunden", betont Johannes Huber, Leiter der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien. Das Wechselspiel zwischen den zwei Hormonen DHEA und Cortisol sei der Schlüssel dazu. "DHEA hält das klassische Stresshormon Cortisol in Schach", so Huber im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Beide Hormone werden in der Nebenniere gebildet - während das Cortisol Energie vergeudet, schaltet das DHEA den Körper auf Sparkurs, wenn keine großen Aktivitäten notwendig sind. Eine höhere DHEA-Konzentration geht daher laut Huber mit einer höheren Lebenserwartung einher. Schwer Kranke haben erwiesener Maßen mehr Cortisol im Blut. Bei jungen Menschen ist wiederum der DHEA-Pegel höher: 25-Jährige weisen die höchste Konzentration auf, bei 80-Jährigen beträgt sie nur noch 10 bis 20 Prozent dieses Spitzenwertes in jungen Jahren.

DHEA in Tablettenform

Wer nun glaubt, mit einer Tablette DHEA am Tag auch ohne Reichtum zu einem langen Leben zu kommen, der irrt. "Die Hormone wirken durch ihr Zusammenspiel im Körper", stellt der Endokrinologe Heinrich Vierhapper von der Medizinischen Universität Wien klar. "Es ist daher unzulässig, DHEA für ein längeres Leben zu verschreiben. Dennoch wurde und wird es von österreichischen Kollegen verabreicht."

Zwar gibt es in Österreich noch kein Medikament mit diesem Wirkstoff in Tablettenform - mit Rezept wird es jedoch in der Apotheke in Kapseln gefüllt. Außerdem können Tabletten übers Internet etwa aus Deutschland bestellt werden. "In Amerika kann man es bereits im Supermarkt kaufen, hier ist es als Nahrungsmittelergänzung deklariert", so Vierhapper. "Laut wissenschaftlichen Studien hilft es aber lediglich Frauen mit einer Unterfunktion der Nebenniere. Sie fühlen sich besser, wenn sie DHEA nehmen."

Selbst Studienleiter Marmot räumt ein, dass nicht Tabletten oder Injektionen die DHEA-Konzentration steigern. Vielmehr sei das Gesamtpaket entscheidend, das der Wohlstand mit sich bringt. Zu einem ähnlichen Ergebnis sind Forscher des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin gekommen. "Männer der reichsten zehn Prozent leben um sechs Jahre länger als jene der ärmsten zehn Prozent", berichtet Studienautor Friedrich Breyer. Bei Frauen betrage die Differenz viereinhalb Jahre. Im Gegensatz zu der Londoner Studie wurde zwar in der deutschen die DHEA-Konzentration im Blut nicht gemessen - der Schluss, dass eine gesunde Lebensweise und bessere Bildung zu einem längeren Leben führen, ist aber der gleiche.

"Diese Tendenz ist ja auch historisch belegbar", fügt der Historiker Georg Scheibelreiter hinzu. "Reiche konnten sich eiweißreichere Nahrung leisten und hatten daher ein besseres Immunsystem als ihre ärmeren Mitbürger. Überdies waren sie gebildeter." Mehr Geld bedeutete auch eine sauberere Wohnung, besser geheizte Zimmer im Winter und eine effektivere medizinische Behandlung. "Außerdem fiel die Kinderarbeit weg, die in den Bauersfamilien oft schon mit sechs Jahren begann", so Scheibelreiter.

Gerade die ersten Lebensjahre sind laut Huber ausschlaggebend für das gesamte weitere Leben: "Eine weitere Forschergruppe fand heraus, dass begüterte Menschen deshalb länger leben, weil sie in den ersten Jahren ihres Lebens weniger Stress hatten."

Reich aber nicht glücklich

Selbst danach habe sie keine Geldsorgen, keine Angst vor Rechnungen im Postkasten und kalten Wintern, in denen um viel Geld geheizt werden muss. Glücklich kann sich schätzen, wer wohlhabend ist, heißt es - aber ist er tatsächlich glücklich? "Nicht unbedingt", so die Psychologin Heide-Marie Smolka, "ein von Erfolg und Reichtum bestimmter Lebenswandel macht häufig blind für das ,kleine Glück." Diese Fähigkeit, sich etwa über einen Sonnenaufgang oder ein Glas Rotwein zu freuen, sei aber wesentlich für das eigentliche Glück.

Nicht einmal Gesundheit spiele "jene große Rolle, die man eigentlich erwarten würde." Vielmehr würden Menschen erst durch eine Krankheit glücklich, indem sie lernten, das Leben wertzuschätzen. "Man muss werden wie ein Kind", sagt Smolka, "und das Leben nehmen, wie es ist. Das macht glücklich."