Zum Hauptinhalt springen

Die religiöse Vielfalt der Erde

Von Heiner Boberski

Wissen
Die St. Andrew’s Cathedral in Singapur, wo es die größte religiöse Diversität gibt.
© corbis/Robert Holmes

Religionssoziologe Paul Zulehner: "Autoritarismus hebt die religionskämpferische Grundhaltung."


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. In Singapur gibt es auf dieser Erde die größte religiöse Vielfalt, im Vatikanstaat die geringste. Das zeigt der "Religious Diversity Index", den das amerikanische Pew Research Center kürzlich veröffentlicht hat. An der Studie war auch das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien beteiligt. Dabei wurde für 232 Territorien die Zugehörigkeit der Bevölkerung zu acht Gruppen untersucht: Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Areligiöse, traditionelle Religionen und kleinere Glaubensgemeinschaften (etwa Bahai oder Sikhs). Je gleichmäßiger diese Gruppen in einem Land verteilt sind, desto höher ist die Diversität und damit der Rang auf einer Zehn-Punkte-Skala.

Auf einen sehr hohen Wert kommt ein Land meist dann, wenn die größte Glaubensgemeinschaft die 50-Prozent-Marke nicht überschreitet und weitere Gruppen noch auf einen Mindestanteil von jeweils 10 Prozent kommen.

In die Ländergruppe mit dem Titel "sehr hoch" und Werten von über 7,0 wurden zwölf Staaten gereiht, klar voran liegt Singapur mit 9,0. In Singapur fand man zum Beispiel fünf größere Gruppen, nämlich vorwiegend Buddhisten (34 Prozent), aber auch viele Christen (18), Areligiöse (16), Muslime (14) und Angehörige kleinerer Gemeinschaften (10). Es folgen Taiwan (8,2) und Vietnam (7,7). Auffallend ist, dass sechs dieser zwölf Territorien in der Asien-Pazifik-Region liegen, fünf in Afrika südlich der Sahara, eines, und zwar am vierten Platz, in Lateinamerika: Surinam (7,6). Dort bildet es freilich die große Ausnahme, denn im Durchschnitt sind das vom Christentum dominierte Lateinamerika und die vom Islam geprägte Region Nordafrika-Mittlerer Osten jene Weltgegenden, welche die geringste religiöse Diversität aufweisen.

Es ist wohl kein Zufall, dass in Europa das ehemalige Mutterland von Surinam an der Spitze steht, die Niederlande (6,4). Damit gehören sie zu den 28 Territorien der Ländergruppe "hoch" mit Werten zwischen 5,3 und 6,9 - wie zum Beispiel auch Japan (6,2), Frankreich (5,9), Belgien (5,7), Australien (5,6), Schweden (5,4), Kanada (5,3) oder Deutschland (5,3). In Frankreich gibt es beispielsweise nur noch drei größere Gruppen: Christen (63 Prozent), Areligiöse (28) und Muslime (8).

Österreich (3,8) findet man unter den 58 "gemäßigten" Ländern, die einen Score zwischen 3,1 und 5,2 aufweisen. Zu dieser Gruppe zählen auch Großbritannien (5,1), Russland (4,9) die USA (4,1) oder die Schweiz (3,7). Typisch sind hier die USA, wo nur noch zwei Weltanschauungen ins Gewicht fallen: Christentum (78 Prozent) und Areligiosität (16).

Das Gros der Territorien, nämlich 134 von allen 232, fällt allerdings in die Ländergruppe namens "niedrig" mit Werten bis 3,0. In diesen Territorien dominiert eine einzige Religion unangefochten. Neben der Zentrale der römisch-katholischen Kirche sind hier vor allem islamische Länder zu nennen, etwa der Iran mit einem Wert von 0,1 bei einem Muslimenanteil von fast 99 Prozent.

Diversität und Kulturkampf

Lebt man in Staaten mit großer religiöser Diversität friedlicher zusammen? "Das hängt davon ab, ob es diese Diversität schon länger gibt", meinte der Wiener Religionssoziologe Paul Zulehner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In Österreich sei die Diversität noch relativ jung, "wir kommen noch aus diesen nachreformatorischen Bildern: Österreich ist katholisch". Das sei aber eine Frage der kulturellen Färbung, nicht der Religion. Sehr wichtig sei gute Bildung, ein Staat brauche "ich-starke" Menschen, die in der Lage seien, tolerant zu sein und Pluralität auszuhalten. Gefahr, so Zulehner, drohe von unterwerfungsbereiten, an "Führern" orientierten Personen: "Autoritarismus hebt die religionskämpferische Grundhaltung."

Größere religiöse Diversität erschwert es aus Zulehners Sicht nicht, zu gemeinsamen Werten zu kommen. Denn die Basiswerte der Religionen seien ähnlich - das Erbarmen Gottes, die Würde der Person, der Schutz des Lebens. "Die Frage ist, ob die Werte von religiösen Menschen mit denen von Skeptikern und Atheisten kompatibel sind. Das ist das größere Problem. Dort spielt sich heute der Kulturkampf ab."