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Die Renaissance der Windmühlen

Von Walter Sontag

Wirtschaft

Die Energieknappheit und der drohende Kollaps des Weltklimas machen den Menschen erfinderisch. Mit der Windkraft entdeckt er eine Energieform wieder, die die Natur stets aufs neue, gewissermaßen unangefordert bereitstellt - Aber liegt in der Windenergie wirklich die Antwort auf alle drängenden Energieprobleme? Skepsis ist angebracht.


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In den sparsamen, von der Technik noch nicht geprägten Zeiten kam die Windenergie reichlich zur Anwendung. Man denke nur an die Windmühlen der meeresnahen Ebenen, verewigt in den Bildern der niederländischen Landschafts- und Genremalerei. Bis heute dienen Windräder in den weniger privilegierten, trocken-heißen Gebieten der Erde der Wassergewinnung, etwa in den kargen Ländereien auf dem afrikanischen Kontinent.

Drei Gründe stehen hinter dem Energiedefizit unserer Tage: das Schwinden der Lagerstätten von Kohle, Öl und Gas, das rasante Bevölkerungswachstum, vor allem aber die schier unersättlichen Bedürfnisse des einzelnen. Es ist der hohe Standard unserer mannigfachen Ansprüche, der Verlust der Maßstäbe, der den Energieverbrauch weiter anheizen wird. Die geradezu ins Absurde getriebene allgemeine Perfektion demonstriert schonungslos das Auto, Alltagsgegenstand und Lieblingskind der Österreicher. Die Bauteile für einen einzigen Wagen der Mittelklasse stammen von 350 Zulieferern. Welche Energieflüsse! Was, wenn die Unterdrückten und gegenwärtigen Habenichtse, die Bewohner der Schwellenländer, der dritten und vierten Welt diesen Standard genauso unreflektiert wie unsereins einfordern werden? Durchschnittlich verbraucht ein Amerikaner pro Jahr 14.000 Kilowattstunden Strom, ein Deutscher knapp 7. 000, ein Inder nur 400.

Umweltfreundlich?

Können angesichts der sich auftürmenden Dimensionen Staudämme und Windparks die Kluft zwischen vorhandener und vermeintlich notwendiger Nutzenergie tatsächlich schließen? Und zu welchem Preis für Mensch und Natur? Umweltfreundlich, so hört man. Sind aber allein die benötigten Größenordnungen, die gewaltigen Ausmaße der neuen Anlagen nicht schon umweltfeindlich? Womöglich mehr noch als Kohle, Gas und Kernkraft? Auf jeden Fall verbraucht, ja verschlingt die sogenannte "grüne Energie" weiten Raum. Dem Drei-Schluchten-Projekt am Gelben Fluss fällt eine ganze Region zum Opfer, und die Spannweite des derzeit weltgrößten Windrads bei Magdeburg beträgt 112 Meter. Allein 14.000 Rotoren drehen sich gegenwärtig in Deutschland. Doch die decken gerade mal 4,7 Prozent des Strombedarfs der einstigen europäischen Konjunkturlokomotive ab.

Was Wunder, wenn unter braven Bürgern Entsetzen ausbricht und sich auch unter weniger Aufgeregten Unruhe breitmacht. Seit einigen Jahren bereits macht eine bunte Koalition aufgeschreckter Zeitgenossen Front gegen diese Energie, die vielleicht gar nicht so umweltfreundlich ist, wie deren Befürworter behaupten. Unterstützung erhalten die Windkraftgegner von den Skeptikern aus Prinzip und von den überzeugten Anhängern der konventionellen und nuklearen Verbrennungsweisen.

Gegen die "Verspargelung"

Prominentester Kritiker ist der eloquente Kolumnist und frühere Sachbuch- und Fernsehautor Horst Stern, durch vielbewunderte Dokumentationssendungen bekannt. Aus seinem Domizil auf der grünen irischen Insel schoss der zornige Aussiedler spitze Pfeile gegen die "Verspargelung der Landschaft", gegen die "ökologisch korrekte" Energie: Lichtreflexe und Rotorenlärm würden Schreckenszäune für das ohnehin gequälte Federvieh bilden. Der Anlass für Sterns Intervention: Die Umweltministerin Niedersachsens - mit grünem Parteibuch ausgestattet - hatte eine vom eigenen Landesamt für Ökologie erstellte Karte "frisieren" lassen, um ein lästiges Vogelschutzgebiet entlang des Wattenmeer-Nationalparks zu tilgen. Schließlich warten allein in Niedersachsen tausend Genehmigungsverfahren für Wind-Generatoren auf Erledigung. Assistiert von besorgten Professoren und Ästheten, wetterte der streitbare Journalist Stern gegen die bevorstehende Verschandelung des Landschaftsbildes. Für solche feinsinnigen Erwägungen konnte eine pronouncierte Vertreterin des gesellschaftlichen Fortschritts allerdings kaum Verständnis haben: Neue technische Anlagen im Außenbereich seien eben "zunächst gewöhnungsbedürftig", meinte sie.

Unterdessen sind Windparks in Europa unbestreitbar Realität - zumindest auf dem flachen Land und auch auf manchen Höhenzügen, also "onshore". Die Windmühlenerhersteller florieren, ja es besteht die Aussicht auf ein umfassendes, vollkommen neues Industriegewerbe, und damit auf zusätzliche, viele Jobs. Denn Zulieferer, Wartungs-, Reparatur- und Betreuungsunternehmen werden der Produzentenvorhut folgen. In Zeiten knapper Arbeitsplätze frohlocken Politik und Wirtschaft. Doch am wichtigsten: Jede neue Technologie ist allemal leichter durchzusetzen als strenges Sparen.

Zu den nackten Zahlen: mittlerweile verpuffen jährlich über 25 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2) anthropogenen Ursprungs über dem blauen Planeten. Die Länder der Europäischen Union zeichnen immerhin für ein Viertel dieser enormen "Gaswolke" verantwortlich. Kohlendioxid stellt mengenmäßig das bedeutendste der sechs Treibhausgase, die den blauen Planenten aufheizen. Das Zuviel der an sich natürlich vorkommenden Substanz ist vornehmlich das Ergebnis konventioneller Heiz- und Antriebstechniken. Das viel zitierte "Kyoto-Protokoll" schreibt den Ländern der Europäischen Union vor, den Ausstoß der Treibhausgase bis 2012 gegenüber 1990 um 8 Prozent zu senken. Nach anfänglichen Erfolgen verlangsamte sich um die Millenniumswende der Rückgang der für Europa angestrebten Werte; auch Österreich ist säumig und fiel in seinen Anstrengungen deutlich zurück.

Windkraft im Kommen

Unter den Großen sind es Großbritannien und Deutschland, die bei der Aufholjagd gegen Energie- und Emissionszunahme nun wieder Tritt gefasst haben - zweifellos begünstigt von der schwächelnden Wirtschaftsentwicklung. In Deutschland wirkt sich zudem die drastische Erhöhung der Mineralölsteuer aus: Benzin- wie Dieselabsatz gehen seit drei Jahren zurück. Dagegen wächst im neuen Jahrtausend in beiden Staaten der Anteil der eingespeisten Windkraftenergie in nachgerade atemberaubenden Tempo. Noch vor drei Jahren scheiterte im britischen Inselreich nahezu die Hälfte der beantragten Projekte - über lächerliche 140 Megawatt - an Einsprüchen. Im gleichen Raum wurde allein im vergangenen Quartal der Bau von Turbinen für mehr als 500 Megawatt "Windleistung" genehmigt, ein Potential, das das Dreifache des Kraftwerks Freudenau ausmacht. Doch dies ist erst der Anfang. So sollen bis 2030 allein die Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee etwa ein Sechstel des gesamten deutschen Energiebedarfs befriedigen. Auch in Österreich befinden sich die Windparkplaner auf dem Siegeszug - wenngleich auf bescheidenem Niveau.

Standortfragen

Bei diesem Kraftwerktypus spielen freilich geophysische und klimageographische Faktoren eine wichtige Rolle. Günstige Standorte bieten sich etwa im flachen Burgenland an, das denn "folgerichtig" die Errichtung solcher Anlagen unterstützt. Doch dürfte sich die Begeisterung für vergleichbare Projekte beispielsweise auf dem Großvenediger oder in anderen malerischen Gegenden in Grenzen halten. An weniger romantischen Orten lassen sich Grundeigentümer und Gemeinden die Bereitstellung entsprechenden Betriebsgeländes gern fürstlich entlohnen; doch rissen etwa im Saargau 19 rastende Mornellregenpfeifer hoffnungsfrohe Windparkinvestoren aus ihren Planungen auf dem zugigen Höhenrücken.

Güter wie Tourismus, Vogelschutz, Landschaftsbild und Raumbelastung stellen Argumente dar, die der Akzeptanz "windiger Angelegenheiten" in der Bevölkerung entgegenstehen. Da lässt sich leicht einsehen, dass Windenergie-Anbieter mit ihren Ausbauvorhaben etwa ins weniger widerspenstige Mecklenburg-Vorpommern ausweichen. Dort mögen sich die Dreiflügler in den weiten, gleichförmigen Horizont ästhetisch eher einfügen. Doch spricht schlicht wirtschaftliches Kalkül für die Wahl der Standorte in Meeresnähe. Im Prinzip sind es die gleichen Gründe, die die ökonomisch orientierten Kritiker gegen die rotierenden Technogiganten anführen. Wind erweist sich nämlich als eine höchst launische, wankelmütige Energieform. Die unsichtbare Kraft richtet sich weder nach Konjunktur noch Spitzenzeiten. Berüchtigt die Schaukeltour des Februartages, als 2.300 holsteinische Windräder verrückt spielten! Nachts jagte eine steife Brise die Stromausbeute auf 3.000 Megawatt hoch, am Vormittag fanden die luftigen Mächte bei halber Leistung zu sanftem Frieden. Nur wenige Stunden später tobte ein ausgewachsener Orkan, der den Generatorenauswurf auf 3300 MW schnellen ließ, plötzlich in Sekunden jedoch zum energetischen Totalabsturz, zum Stillstand führte: Die Räder legten die Flügel an und ließen die gefährlich entfachten Kräfte ungenutzt an sich vorbeistreifen. Gewissermaßen aus dem Stand mussten herkömmliche Kraftwerke einspringen und die abrupt ausgefallene Energie ersetzen.

Mängel der neuen Energie

Mit anderen Worten: Wer für 30.000 MW Windräder plant, muss in der gleichen Größenordnung Energiequellen diesmal ganz anderer "alternativer", nämlich traditioneller Art in petto haben - und CO2 lässt wieder grüßen. Kein Zweifel: der Wirkungsgrad der Windmaschinen hinkt dem der Konkurrenten hinterher. Generell unterliegt die Windstärke großen Schwankungen, regional bestehen beträchtliche Unterschiede. So erbringt das natürliche Brausen in Schottland mehr Leistung als im südlichen Britannien, im Meer fünf Prozent mehr als über Land - ökonomisch ein gewaltiger Unterschied. Schweden, Dänen und Niederländer betreiben bereits die rentableren Offshore-Windparks; doch der Schritt ins tiefere Meer steht noch aus.

Doch stellt sich auch für solche Anlagen die Effizienzfrage. Jeder der tonnenschweren Riesen ist im Meeresboden tief und unterspülungssicher zu verankern. Salz und bis zwanzig Meter hohe Wogen arbeiten unermüdlich, im Winter drohen treibende Eisschollen. Die Stabilität der hohen Türme muss garantiert sein. Weiterhin erfordern Drehgeschwindigkeiten bis zu 400 km/h eine hohe Festigkeit der Kunstfaser-Harz-Rotoren, also Härte und Elastizität zugleich. Insgesamt sind Investition und Wartung teuer.

Nächster Punkt: Wie gelangt der Strom aufs Festland? Umspanntechniken müssen ausgereift, die Verkabelung teuer installiert werden. Die Kosten steigen, die Wirtschaftlichkeit des "grünen Stroms" sinkt. Und die CO2-Bilanz? Ernüchternd. Nach Berechnungen für Deutschland verringerte der Einsatz der Windkraft den CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr lediglich um ein knappes Prozent. Würde dagegen der Nutzungsgrad der klassischen Kraftwerke um ein einziges Prozent verbessert, ließe sich bereits der doppelte Betrag einsparen. Die konsequente Verwirklichung der sogenannten Wärme-Kraft-Koppelung erbrächte sogar das Neunfache.

Und was sagt die Natur wirklich dazu? Trotz der kurzen Geschichte der modernen Windparks hat bereits eine kleine Armada besorgter Ornithologen das Terrain abgeschritten und eine stattliche Anzahl detaillierter Untersuchungen vorgelegt:Vom optischen Horror über Turbulenzen, Nachlaufströmung bis zu Ultraschall-Emissionen reicht die Liste der diskutierten Störeinflüsse auf Vögel, Fledermäuse und anderes Getier. Ist die Umgebung um die stählernen Recken nicht ganz entstellt, kann sich zumindest ein Teil der ortsansässigen Vögel arrangieren und geht dem Brutgeschäft nach. Im offenen Küstenraum, wo sich die alternativen Energieparks konzentrieren, sieht es freilich anders aus. Hier liegen vornehmlich auch die Rastplätze der überwinternden Gänsescharen aus dem Norden. Von den naturfremden Ungetümen halten sie deutlichen Abstand, wertvolle Nahrungsflächen sind für sie verloren oder nur eingeschränkt nutzbar. Für die tierliche Vorsicht gibt es gute Gründe. Vor allem zur Zugzeit fordern die Rotoren unter Vögeln und Fledermäusen zahlreiche Schlagopfer. Mit der friedfertig-naturfreundlichen Energiealternative ist es wohl nichts.