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Die Renaissance des Kalten Kriegs

Von Thomas Seifert

Politik

Russland wiederholt die Fehler des Westens: Hybris und Triumphalismus.


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Wien. Für Diskussionen um die Ukraine gilt, das haben wir in den vergangenen Wochen gelernt, Godwins Law. Godwins Law ist ein Begriff aus der Netzkultur und stammt vom Sachbuchautor und Anwalt Mike Godwin. Die durchaus ironisch-sarkastische Grundaussage: Im Verlaufe längerer Diskussionen nähert sich mit zunehmender Diskursdauer die Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Nazi-Vergleich einbringt, dem Wert eins.

Für die Moskauer Nomenklatura war die Revolution in Kiew, die den eher opportunistisch-pro-russischen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch hinweggefegt hat, von Anfang an ein Nazi-Putsch. Für die Washingtoner Machteliten - etwa die frühere Außenministerin Hillary Clinton - ist das Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Krim-Konflikt mit dem Verhalten von Adolf Hitler vergleichbar.

Doch Nazi-Vergleiche von der einen und Hitler-Assoziationen von der anderen Seite führen, wie Godwin schon immer vermutet hatte, nirgendwohin, sondern gehören ins Vernebelungs-Reich der Propaganda - eine Rückschau auf die Zeit des Kalten Krieges ist da schon sinnvoller.

Annus mirabilis 1989

Im Dezember 1989 trafen einander der russische Perestroika-Präsident Michail Gorbatschow und US-Präsident George H.W. Bush in Malta. Die beiden Staatsoberhäupter waren sich einig: Die ideologische Basis für den Kalten Krieg sei nicht mehr gegeben, die beiden Staaten müssten einander nicht mehr länger als Feinde betrachten.

Danach kam der Zerfall der Sowjetunion, und der Westen verfiel in Hybris: Amerika hat den Kalten Krieg gewonnen, posaunte Bush bei seiner "State of the Union"-Rede 1992 hinaus. 1999 folgten im Zuge der Nato-Polizeiaktion im Kosovo Bomben auf Serbien, Russlands Bruderstaat in Südosteuropa, und die Errichtung von Nato-Basen im Kosovo sowie die Nato-Expansion in Länder des ehemaligen Warschauer Pakts.

Als Putin 2000 an die Macht kam, zeigte er sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 noch höchst kooperativ, schließlich erkannte Moskau im Kampf gegen den islamischen Extremismus gemeinsame Interessen mit den USA. Die US-Invasion des Irak ohne UN-Mandat 2003, die weitere Expansion der Nato ins Baltikum und am Balkan 2004 sowie die Unterstützung der "Farb-Revolutionen" in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisien (2005) durch den Westen erschienen dem russischen Präsidenten dann wie eine kalte Dusche. Mit den Debatten in Washington und Brüssel über einen möglichen Nato-Beitritt Georgiens und der Ukraine wurde aus der Sicht Moskaus die rote Linie klar überschritten. Beim Nato-Gipfel in Bukarest im April 2008 stellte Putin diese Haltung Russlands unmissverständlich klar. Im August 2008 ließ Putin dann nach georgischen Provokationen im von Russland kontrollierten Südossetien Truppen in einer Strafaktion gegen Georgien auffahren und fügte dem pro-westlichen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili eine empfindliche militärische Niederlage zu.

Putins Fehlkalkül

Eine ähnliche Schlappe, wie er sie 2008 der georgischen Führung zugefügt hat, will Putin den Revoluzzern vom Maidan 2014 beibringen. Und dies ist nun die Stunde der Hybris Moskaus. Auch wenn es im Moment nicht so aussieht, so schadet Putin mit seiner aggressiven Haltung gegenüber der Ukraine den langfristigen strategischen Interessen Russlands:

Eine territorial unversehrte Ukraine mit einer nicht unbedeutenden russischen Minderheit müsste mit dem östlichen Nachbarn sorgsam umgehen und die Interessen Moskaus stets im Blick haben. Eine Ukraine minus der Krim wird sich wohl völlig dem Westen zuwenden und schleunigst eine enge Anbindung - wenn schon eine Vollmitgliedschaft nicht so schnell möglich ist - an die Nato und die EU anstreben.

Selbst Freunde Russlands, wie etwa Kirgisien oder Kasachstan, rücken ein wenig von Putin ab. Sie treibt offenbar die Angst um, selbst die nächsten Opfer russischer Expansionspolitik werden.

Noch vor wenigen Monaten hing der Haussegen zwischen den USA und wichtigen Nato-Partnern - vor allem Deutschland - schief, nachdem ruchbar geworden ist, dass der US-Geheimdienst NSA systematisch EU-Behörden und selbst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bespitzeln ließ. Die Affäre ist nun vergeben und vergessen, Europa sucht dank Putins Abenteuern wieder die Nähe zu den USA.

Nach dem Herunterfahren der Afghanistan-Mission steckte die Nato in einer ernsten Sinnkrise. Die USA hatten unter US-Präsident Barack Obama die "Reset"-Taste mit Russland gedrückt. Die Strategen in Washington sahen die Herausforderungen der Zukunft in Asien, die Bedeutung des nordatlantischen Bündnisses war im Schwinden. Seit einigen Wochen ist dies anders: In Osteuropa werden Rufe nach neuen Nato-Basen auf dem Territorium einstiger Warschauer-Pakt-Staaten laut, selbst in neutralen skandinavischen Staaten wie Finnland und Schweden ist seit der verdeckten Besetzung der Ukraine durch russische Einheiten eine Debatte über einen möglichen Nato-Beitritt dieser Länder entbrannt.

Lange haben sich Länder Deutschland gegen eine strategische Neuausrichtung der EU-Energie-Politik gewehrt, schließlich sind beide Länder wichtige Partner der russischen Energie-Konzerne. Doch die massive Abhängigkeit Zentral- und Osteuropas von russischen Gaslieferungen läuft den strategischen Interessen Europas klar entgegen. Eine EU, gegen die Putin jederzeit die Gaswaffe zücken kann, ist zu verwundbar. Die notwendigen Änderungen in der EU-Energiepolitik werden Gazprom Marktanteile kosten, die Gewinner heißen: Irak, Iran, Libyen, Algerien.

Die Lehren aus den letzten Wochen: Hybris, Triumphalismus und eine Überforderung Moskaus haben den Keim für eine Politik Putins gelegt, der nun - nach Jahren - in seiner Hybris und seinem Triumphalismus völlig überreagiert. Was dem russischen Präsidenten Putin kurz- und mittelfristig politisch zu nutzen scheint, wird Russland langfristig schaden. Denn Russland braucht den Westen mehr als Europa oder die USA Russland.