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Das Kastell von Cap Haitien, der zweitgrößten Stadt Haitis, ist bis heute der mächtigste Festungsbau der westlichen Hemisphäre. Er hat Kanonendonner und Gewehrfeuer allerdings nur aus der Distanz gehört. Nie wurde ein Schuss zu seiner Verteidigung abgegeben. "Die Welt weiß wenig von Haiti", meinte treuherzig ein Kommentator des führenden Nachrichtensenders CNN. Und er hätte hinzufügen können: "und schert sich noch weniger darum".
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Nichts deutet darauf hin, dass Haiti, das im Westteil der zweitgrößten Karibeninsel (nach Kuba) ein karges Dasein fristet, einst als "Hispaniola" die Perle des spanischen Weltreiches genannt wurde.
Von Christoph Columbus 1492 entdeckt, fanden die Spanier zwar kein Gold auf der Insel, aber den fruchtbarsten Boden im gesamten karibischen Raum. Die einheimische "indianische" Bevölkerung wurde als "zu faul zur Arbeit" rasch ausgerottet und durch stämmige westafrikanische Sklaven ersetzt. Sklaven wurden in der Neuen Welt nie anständig behandelt, aber fast nirgendwo so schlecht, wie auf Hispaniola (Klein-Spanien). So kam es zu zahlreichen Sklavenaufständen, die brutal unterdrückt wurden, gleichgültig, ob die Kolonialisten Spanier, Briten oder Franzosen waren.
Sklavenaufstand
Ereignisse in Nordamerika oder im fernen Europa gaben den Unterdrückten neuen Mut - besonders die Französische Revolution, die 1794 die Sklaverei abschaffte (die übrigens von Napoleon 1802 in der Neuen Welt wieder eingeführt wurde). Die Schwäche der Kolonialmächte "elektrisierte" die Sklaven.
Just zu jenem Zeitpunkt entstand den Sklaven erstmals ein echter Führer, Francois Dominique Toussaint, genannt l'Ouverture, der "Durchbrecher". Er gilt bis heute als größte Persönlichkeit unter den karibischen Eingeborenen. Im Auftrag Frankreichs vertrieb Toussaint die Briten und Spanier, die sich auf der Insel festgesetzt hatten. Dafür wurde er übel belohnt: Die Franzosen luden ihn in ihr Hauptquartier, verhafteten ihn und deportierten ihn nach Europa, wo er im Gefängnis starb.
Der Frieden von Amiens erlaubte den Franzosen - ohne Störung durch die britische Flotte, ein Expeditionsheer unter General Leclerc, dem Mann von Napoleons Schwester Pauline, nach Haiti zu schicken. Pauline bestand darauf, ihrem Mann zu folgen, bei dessen Aufgabe sie ihn durch ihre Sucht nach Komfort dauernd störte.
Übrigens hatte das Verschwinden Touissants die Einheimischen nicht entmutigt. Ein neuer Führer Jean-Jaques Dessalines vertrieb die durch Seuchen dezimierten Franzosen aus dem Land. Napoleons Entschluss, sich selbst zum Kaiser zu krönen, wirkte auf Haiti ansteckend. Dessalines krönte sich 1804 als Jakob I. Kaiser des unabhängigen Haiti. Er hatte indes nicht das Format Toussaints und wurde schon 1806 gestürzt und ermordet.
Sein Nachfolger, der auf einem Feld geborene Henri Christophe, war indessen eine starke Persönlichkeit. Mit harter Hand stellte er die Ruhe auf der Insel wieder her, brachte sogar die Zuckerproduktion wieder auf Touren. Diplomatisch wurde der Sklavenstaat von keiner Macht anerkannt, wohl aber gaben sich die wichtigsten Handelsherren der Neuen Welt im zweitältesten Staat der westlichen Hemisphäre (nach den USA) ein Stelldichein. Natürlich begehrte auch Henri Christophe als Henri I. die Kaiserkrone. Er brachte sogar den ersten Hofarzt ins Land, zum Schutz seiner eigenen Gesundheit. Physisch konnte der Mediziner den "Kaiser" behandeln, nicht aber geistig, der alsbald eine Art Größenwahn entwickelte. Nach dem Vorbild Napoleons schuf er einen adeligen Hof, dessen Mitglieder er zu "Herzogen von Limonade" oder "Fürsten vom Marmelade", seinen Leibgerichten, machte. Seine Leibgarde nannte er die "Royal Dahomeys".
Größen- und Verfolgungswahn
Zum Größenwahn kam der Verfolgungswahn. Der Kaiser wurde die Angst nicht los, die Franzosen könnten zurückkehren. Bei Cap Haitien ließ er, wie eingangs erwähnt, eine wehrhafte Festung bauen, um Invasoren zurückzuschlagen. Tausende gingen beim Bau der Burg zugrunde. Henri erlebte gerade noch ihre Fertigstellung, doch er war bereits ein körperliches und geistiges Wrack. Just bei einer Siegesparade brach er zusammen. Er rettete sich noch in seinen Palast - die Festung war zu weit - und erschoss sich mit einer silbernen Kugel.
Es folgten Jahre der Anarchie - und ein dritter Kaiser, Faustin Soulougue, der sich Faustin I. nannte. 1844 erklärte sich der Ostteil der Insel für unabhängig und nannte sich "Dominikanische Republik". Es war eher eine "ethnische Revolution": Die Führer der Separatisten waren hellhäutige Mulatten, die den Westteil den dunkelhäutigen Nachfahren der Sklaven überließen.
Während des Ersten Weltkrieges wurde die Anarchie auf dem alten Hispaniola so arg, dass die USA - aus Angst vor deutschen Agenten - beide Teile besetzen. Die Besatzungsmacht blieb bis 1934, Haitis Finanzen blieben bis 1947 unter US-Kontrolle.
In Haiti ergriff General Hector Leonidas Trujillo die Macht und benannte die alte Hauptstadt Santo Domingo großmächtig "Ciudad Trujillo". Eines muss zu Gunsten Trujillos gesagt werden: Bei der Flüchtlingskonferenz von Evian (1938), die Refugien für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich finden sollte, war Trujillo der einzige, der bereit war, seine Grenzen zu öffnen. Es blieb natürlich eine Utopie, ebenso wie Stalins "Judenstaat" Birobidjan, aber er zeigte jedenfalls guten Willen.
Nach der Ermordung Trujillos kam es wieder zu einer US-Intervention, aber danach zog der Frieden zumindest in der Dominikanischen Republik ein, die sich in ein Touristenparadies verwandelte.
Nicht so Haiti. 1957 ergriff der "Armendoktor" Francois (Papa Doc) Duvalier die Macht und festigte seine Diktatur durch Begünstigung des Voodoo-Glaubens, der ihn unsterblich machen sollte, während seine Todesschwadronen, die "Tonton Macoutes" die weltliche Macht sichern sollten.
Den Titel "Armendoktor" verlor er bald. Um die "Armen" scherte er sich nicht, dafür um mehr um seine eigenen Interessen. Unsterblich wurde er auch nicht. Auf ihn folgte sein unfähiger Sohn "Baby Doc", der 1986 vertrieben wurde. Ebenso erging es nun dem "Armenpriester" Jean-Bertrand Aristide, mit dem vorläufig das Tauerspiel auf der Drei-Kaiser-Insel endet.