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Kaiser Leopold I. ist nicht nur die "Wiener Zeitung" zu verdanken, sondern auch die Erhebung der ältesten Naturforschergesellschaft der Welt zur kaiserlichen Akademie.
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Bis vergangenen Sonntag hieß sie schlicht "Deutsche Akademie der Naturforscher"; seit Montag trägt sie die stolzen Titel "Nationale Akademie der Wissenschaften". Damit hat sie zwar nicht ihren Beinamen "Leopoldina" geändert, der an den Habsburger erinnert, wohl aber ihren Status. Von nun an wird sie die deutsche Forschung im Kreise der internationalen Akademien vertreten. Und sie wird - gemeinsam mit der Münchner Techniker-Akademie (acatech) und der Berlin-Brandenburg-Akademie (BBAW) - Gesellschaft und Politik wissenschaftlich beraten.
Viel war nicht los im Jahr 1652. In Südafrika entstand Kapstadt, in London eröffnet das erste Kaffeehaus, Burnacini errichtet in Wien eine Opernbühne. Im oberfränkischen Schweinfurt gründen vier Stadtphysici nach italienischem Muster die Gelehrtengesellschaft "Academia Naturae Curiosorum", um "die weitere Aufklärung auf dem Gebiet der Heilkunde und den daraus hervorgehenden Nutzen für die Mitmenschen" zu fördern.
Schon bald wurde sie per kaiserlichem Dekret geadelt und durfte sich fortan "Sacri Romani Imperii Academia Caesareo-Leopoldina Naturae Curiosorum" nennen. Dies brachte den Mitgliedern etliche Privilegien ein, beispielsweise die Freiheit von jeglicher Zensur oder das Nachdruckverbot ihrer Schriften.
Der Sitz der Gesellschaft wechselte mit dem Wirkungsort des jeweiligen Präsidenten. Sesshaft wurde sie erst 1878, also vor 130 Jahren. Die inzwischen immens gewachsene Bibliothek hatte einen eigenen Bau erfordert. Hermann Knoblauch, ein bekannter Physiker, stellte während seiner Präsidentschaft die Weichen für eine dauerhafte Ansiedlung der Leopoldina in Halle an der Saale.
Marie Curie, Albert Einstein und weitere 168 Nobelpreisträger genossen die Förderung durch die Leopoldina. Auch in DDR-Zeiten war sie die einzige Wissenschaftsgesellschaft, die weiterhin einheitlich bestehen blieb. Heute gehören ihr rund 1200 Mitglieder aus 30 Ländern an, darunter 32 Nobelpreisträger. Der weltbekannte Dermatologe Georg Stingl aus Wien ist Mitglied des Präsidiums.
Der Erhebung zur "Nationalen Akademie" ging ein anderthalb Jahrzehnte tobender Streit voraus. Laut Grundgesetz sind Bildung und Forschung Ländersache. Man kann sich die Begeisterung der anderen zehn Akademien ausmalen, die um die Butter auf ihr Brot bangten. Annette Schavan (CDU), Bundesbildungsministerin, war es dennoch gelungen, im Februar 2008 die Unterschriften ihrer Landesminister-Kollegen zu sammeln.
Endlich kann nun auch Deutschland der Royal Society in London oder der Académie des Sciences in Paris ein Pendant bieten. So wird im November an der Seine ein gemeinsames Symposion über "Phantasie und Intuition in den Wissenschaften" und in Jerusalem eine Tagung zur Neurobiologie stattfinden - in
Kooperation mit den jeweiligen nationalen Akademien.
Neben der Förderung von Wissenschaftern - dafür vergibt die Akademie Stipendien, Preise und Medaillen - kümmert sie sich um die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und um transdisziplinäre Begegnungen. Das Instrumentarium ist weit gefächert: Symposien, Meetings, Monatssitzungen, wissenschaftshistorische Seminare, Ad-hoc-Kommissionen zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen.
Für die "Nahtstelle
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft" gibt es genug zu tun: Welternährungskrise, Klimaschutz, Gentechnologie seien nur als Stichworte genannt. Als "gastlichen Ort für den freien Geist" würdigte Bundespräsident Horst Köhler die neue Leopoldina und mahnte die "Gelehrtenrepublik", ihre Unabhängigkeit zu bewahren.
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