)
Nicht heute, verschieben wir’s auf morgen: Das ist nicht nur ein berühmtes Filmzitat, sondern war auch lange das Motto demokratischer Politik.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es gab einmal eine Zeit, da war die Zeit noch der Freund der Mächtigen. Probleme ließen sich aussitzen, auf die lange Bank schieben oder schlicht offensiv ignorieren. Große, mächtige Politiker, man denke nur an Helmut Kohl, machten daraus eine ganz eigene Disziplin zur Machterhaltung, für kleinere wie etwa Wolfgang Schüssel war es immerhin noch eine ganz brauchbare Überlebensstrategie. Gemeinsam war ihnen allen das Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Ausnahmen, dort die Chance auf Wiedervereinigung, hier die Gelegenheit zur schwarzen Kanzlerschaft, bestätigen wie immer nur die Regel.
Mittlerweile ist es vorbei mit der Zeit als Verbündeter der Politik. Und verantwortlich dafür ist, wie sollte es anders sein, die Finanzkrise.
Der deutsche Politologe Herfried Münkler verkündete erst unlängst im "Spiegel" die "allmähliche Erosion" der parlamentarischen Demokratie. Münkler begründete dies unter anderem damit, dass die Fraktionen nicht mehr die Möglichkeit hätten, Entscheidungsabläufe ihrem eigenen Zeitrhythmus zu unterwerfen. Die Krise hält nun einmal wenig vom Prozedere parlamentarischer Deliberation samt anschließender Entscheidungsfindung per Mehrheitsvotum. Stattdessen fordert sie - ungeniert, wie sie auch in allem Übrigen agiert - Instant-Antworten.
Allerdings gibt es auch in der Politik das bemerkenswerte Phänomen der gleichzeitigen Ungleichzeitigkeit, und nirgendwo findet sich dieses in schönerer Form als in Österreich. Banal lässt sich dieses höchst reale Paradoxon anhand der Beispiele Euro-Rettung und Föderalismus-
reform nachzeichnen. Man könnte natürlich auch die Bildungsreform ins Rennen werfen. Passt nämlich genau so. Oder eine systemische Steuerreform oder eine Gesundheitsreform, oder . . .
Alle diese Themen haben das Potenzial, den Lebensalltag praktisch aller Bürger zu berühren, alle sind in Wahrheit viel zu kompliziert, sodass nur eine kleine Elite verständnistechnisch wirklich unter die Oberfläche blickt, was wiederum die große Mehrheit nicht davon abhält, selbst eine eigene klare Meinung zu vertreten.
Trotz dieser Ähnlichkeiten im Grundsätzlichen könnten die Unterschiede in der tatsächlichen politischen Behandlung frappierender kaum sein. Hier wird gerettet, dort wird geredet. Und das seit Jahrzehnten ohne nennenswerten Fortschritt in den jeweiligen Angelegenheiten.
Trotz der unsittlichen Bedrängungen durch die Krise haben sich also noch einige Refugien dessen gehalten, was Politologen einmal für typisch österreichisch gehalten haben: den sogenannten therapeutischen Nihilismus, der im Kern darin besteht, so lange nichts zu tun, bis sich ein Problem von selbst wieder verflüchtigt.
Nur: All diese Probleme werden sich nicht mehr in Luft auflösen. Dieses Schicksal widerfährt höchstens, wie man bei der Entwicklung der Schuldenkrise gesehen hat, dem politischen Handlungsspielraum. Bei der Zeit ist es deshalb wie mit dem Geld: Man sollte rechtzeitig drauf schauen, dass man sie hat, wenn man sie braucht.