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Die Republik der Verdächtigen

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Der Staat betrachtet Steuerzahler zunehmend als Gauner, denen man nur noch nicht nachweisen konnte, dass sie welche sind. Das geht so nicht.


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In einem Rechtsstaat gilt bekanntlich die Unschuldsvermutung, bis jemand von einem ordentlichen Gericht für schuldig befunden wurde. Gemessen an diesem bewährten Kriterium degeneriert Österreichs Rechtsstaatlichkeit seit einiger Zeit in erstaunlichem Tempo. Denn auch völlig unbescholtene Bürgern schiebt der Staat zunehmend in eine Grauzone des allgemeinen Verdachts. Musste bisher etwa in Steuersachen ein begründeter und von einem unabhängigen Richter akzeptierter Tatverdacht vorliegen, um jemanden vom Unschuldigen zum Verdächtigen mit geöffneten Konten zu machen, kann künftig schon ein völlig legales Verhalten den Betroffenen in die Verdachtszone bugsieren - mit allen unerquicklichen Konsequenzen. So nimmt das geplante Kapitalabfluss-Meldegesetz die Gestalt des Abschleichers ins Visier. Das ist keine Nestroy-Figur, sondern ein unbescholtener Bürger, der 50.000 Euro (oder mehr) an ordnungsgemäß versteuertem Geld entweder bar abhebt oder auf ein völlig legales ausländisches Konto überweist.

Obwohl daran überhaupt nichts gesetzwidrig ist, werden die Banken solche Transaktionen - auch ohne allergeringsten Verdacht auf Irregularitäten - an die Finanzbehörden melden müssen. Und zwar gleich rückwirkend per März 2015, also lange vor Inkrafttreten des Gesetzes.

Man kann beruhigt davon ausgehen, dass diese Meldungen nicht unbesehen im Papierkorb landen, sondern der Delinquent meist mit einer zeit- und nervenaufwändigen Steuerprüfung beehrt wird, ausgelöst durch nichts anderes als eine Transaktion, die genauso legal ist wie das Abheben von 100 Euro am Bankomaten.

Damit rückt natürlich auch jeder Österreicher, der die Freiheit des EU-Binnenmarkts nutzen und - aufgrund besserer Konditionen oder besseren Services - ein Konto bei einer ausländischen Bank eröffnen will, automatisch in die Verdachtszone, was nicht so ganz im Sinne des freien Binnenmarktes sein dürfte.

Auch wer künftig etwa einen etwas teureren Gebrauchtwagen traditionell (und steuerlich völlig legal) bar bezahlt, macht sich dadurch automatisch zum Verdachtsfall, sobald er das Bargeld von seiner Bank abhebt.

Man kann das durchaus als Abschaffung der Unschuldsvermutung und deren Ersatz durch einen Generalverdacht der Obrigkeit gegen ihre Untertanen verstehen. Und das passt prächtig zur Liquidierung des Bankgeheimnisses, zur Registrierkassenpflicht, zum Zwang zur Aufbewahrung von Bagatellrechnungen und zu anderen Nettigkeiten, mit denen der Bürger zum Verdächtigen gemacht wird.

Nun mag man ja einzelne dieser Maßnahmen (wie etwa das künftige Kontenregister) für durchaus akzeptabel halten - aber die Summe all dieser Zudringlichkeiten erzeugt bei den Betroffenen durchaus zu Recht das Gefühl, vom Staat plötzlich als Gauner betrachtet zu werden, dem man bloß noch nicht nachweisen konnte, dass er einer ist.

Das ist für jemanden, der sein ganzes Leben korrekt und viel zu viel Steuern gezahlt hat (und solche Menschen gibt es ja auch nicht wenige), eine nur schwer zu ertragende Zumutung.

Erratum: In meinem vergangenen Kommentar habe ich ein Zitat von Neil Postman irrtümlich Marshall McLuhan zugeordnet. Sorry!