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Die Republik Europa - ein populistischer Vorstoß Intellektueller?

Von Gerhard Kohlmaier

Gastkommentare
Gerhard Kohlmaier ist AHS-Lehrer für Philosophie und Deutsch in Wien.
© privat

Bei der supranationalen Vision wird übersehen, dass die derzeitige Situation auch das Resultat einer linken Politik der Versäumnisse ist.


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Rund um das Gedenken an das hundertjährige Bestehen der Republik Österreich am 12. November haben sich die Stimmen gemehrt, welche eine Republik Europa fordern. Insbesondere Künstler, wie der Schriftsteller Robert Menasse, setzen sich für dieses Monsterprojekt ein und ließen vergangenen Samstag von mehr als hundert europäischen Orten die Republik Europa, ein "Europa der Bürger, nicht der Nationen", symbolisch ausrufen. Dieses symbolische Europa der sozialen und politischen Gleichheit aller Bürger sowie einer transnationalen Demokratie soll wenige Monate vor der Wahl eines neuen EU-Parlaments offensichtlich die Diskussion über und das Interesse an einer zukünftigen Gestaltung Europas anregen.

So weit, so gut. Allerdings findet dieser Vorstoß vor dem Hintergrund einer gesamteuropäischen Tendenz zu rechten Parteien statt und will dem derzeit vorherrschenden Trend zum Nationalismus und Populismus mit einer Vorstellung von sozialer und politischer Gleichheit der Bürger gleichsam supranational begegnen.

Die Protagonisten dieser Zukunftsvision übersehen jedoch, dass die derzeit stattfindende Spaltung der Bevölkerung in den europäischen Staaten, welche von rechten Parteien und Populisten betrieben wird, nicht durch die Flucht auf eine supranationale Ebene aufzuheben ist. Denn gerade die derzeitige Situation in vielen europäischen Staaten ist auch Resultat einer linken, vor allem einer sozialdemokratischen Politik der Versäumnisse in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

Will man diese korrigieren, dann gilt es dies zunächst auf der nationalen Ebene zu tun. Nur dann wird es in den europäischen Staaten vielleicht eines Tages eine Mehrheit von Bürgern geben, welche sich für ein politisch geeintes Europa begeistern können. Der deutsche "Welt"-Journalist Thomas Schmid spricht in diesem Zusammenhang von einem "Subjekt", von einer "kritischen Masse", welche so eine Veränderung auch tatsächlich wolle.

Aber wo ist denn dieses "Subjekt", wo sind die europäischen Bürger, welche derzeit für eine Veränderung der Europäischen Union hin zu einer Republik eintreten? Ich sehe sie nirgends, und das hat zahlreiche Gründe. Diese reichen von der Problematik rund um den Euro bis hin zu den zahlreichen wirtschaftspolitischen und demokratiepolitischen Enttäuschungen einer europäischen Politik der Vergangenheit, wodurch die europäischen Bürger zunehmend in die Hände von nationalstaatlichen Populisten getrieben wurden.

Das bestehende Konstrukt der Europäischen Union scheint nicht oder nur sehr eingeschränkt reformierbar zu sein. Die verantwortlichen Politiker innerhalb der EU haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt, dieses Europa auch zu einem Europa der Bürger zu machen, nicht nur zu einem der Konzerne.

In dieser Situation nun eine Europäische Republik - wenn auch nur symbolisch - auszurufen, zeugt von Ignoranz gegenüber der realen Situation der Bürger innerhalb der EU. Ist das nicht auch eine Art von Populismus, nur diesmal von der anderen Seite?