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Tausende wütende Schüler bringen nach einem Busunfall Bangladeschs Regierung zunehmend unter Druck.
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Dubai/Dhaka. Ein Verkehrsunfall mit zwei Toten wäre in der chaotischen 18-Millionen-Einwohner-Stadt Dhaka sonst kaum eine Nachricht wert gewesen. Doch dann änderte ein Foto auf Facebook alles: Es zeigt den blutigen Körper eines Schülers, eingequetscht zwischen einem Bus und der Mauer einer Schule. Nur Stunden später zogen tausende Schüler auf die notorisch verstopften Straßen der Hauptstadt von Bangladesch, um für mehr Sicherheit zu demonstrieren. Teenager in Schuluniform - die jüngsten nicht älter als 13 Jahre - hielten Autos an und verlangten die Ausweispapiere der Fahrer.
Inzwischen geht der Protest in die zweite Woche, und ein Ende ist nicht absehbar. Längst geht es auch um Vetternwirtschaft und Korruption, um die Gewalt gegen Demonstranten durch Schlägertrupps der Regierung, um die Freiheit der Presse.
Am 29. Juli raste ein Bus im Cantonment-Viertel nahe dem Flughafen in eine Gruppe von Schülern, die nach dem Unterricht auf einen anderen Bus warteten. Die 17-jährige Schülerin Diya Khanam Mim und der 18-jährige Schüler Abdul Karim Rajib waren auf der Stelle tot. Ein Dutzend anderer Jugendlicher vom Shaheed Ramiz Uddin College wurden verletzt - teils schwer.
Ohne Führerschein
"Wir rannten zur Unfallstelle und fanden ein Mädchen und einen Jungen tot. Sechs Schüler waren unter dem Bus eingeklemmt. Sie schrien vor Schmerzen", erzählte Kamrul Haque, der auf seinem Motorrad unterwegs war, als der Unfall geschah. Wenig später machten Videos und Fotos des Unfalls in den sozialen Medien die Runde. Die Schüler sprachen von "Mord". Spontan sammelten sich Jugendliche zu einem Protest an der Unfallstelle und blockierten den Verkehr.
Fahrzeuge in Bangladesch haben oft weder eine Registrierung noch eine Sicherheitsprüfung unterlaufen. Die Hälfte aller Fahrer im Land hat keinen Führerschein. Die Verkehrsaufsicht ist lasch, und Bestechungsgelder sind an der Tagesordnung, ebenso wie Unfälle in den engen, ständig verstopften Straßen in Dhaka. Nach Angaben des Fahrgastverbandes Bangladesh Passengers Welfare Association starben im vergangenen Jahr 7400 Menschen bei Verkehrsunfällen.
Vielleicht wäre der Protest der Schüler nach ein paar Tagen wieder abgeklungen. Doch dann sorgte eine Bemerkung von Transport-Minister Shahjahan Khan erneut für Empörung. "Bei einem Unfall in Indien sind 33 Menschen ums Leben gekommen. Aber redet man dort darüber wie hier bei uns?", kommentierte Khan. Dass ausgerechnet ein Verwandter des einflussreichen Politikers das in den Unfall verwickelte Bus-Unternehmen besitzt, konnte keineswegs dazu beitragen, die Wut zu dämpfen.
Seither setzt die Regierung auf Schadensbegrenzung. Das Kabinett beschloss härtere Strafen für Verkehrssünder; es gibt sogar Überlegungen, besonders schwere Delikte mit der Todesstrafe zu ahnden. Fahrzeug- sowie Verkehrskontrollen haben zugenommen.
Doch gleichzeitig geht die Regierung brutal gegen die jungen Demonstranten vor. Schlägertrupps mischen sich unter die Protestierenden, randalieren und greifen Polizisten sowie unbeteiligte Passanten an. Am Montag wurde der bekannte Fotograf Shahidul Alam inhaftiert. Er soll in Untersuchungshaft gefoltert worden sein. Alam hatte sich in einem Interview kritisch über die Politik geäußert. "Die Regierung hat sich verschätzt. Sie glaubte, dass Furcht und Repressalien genug seien, doch man kann nicht eine ganze Nation auf solche Weise zähmen", sagte er dem TV-Sender Al-Jazeera.
Bangladeschs Regierung blockierte am Wochenende soziale Medien und setzte Telefon- und Datenverbindungen aus. Die Telekom-Aufsichtsbehörde sprach vom "digitalen Opium", welches die Jugendlichen vergifte. Premierministerin Sheikh Hasina geißelte soziale Medien und beklagte die Verbreitung von "fake news" auf Facebook.
Alarmsignal für Premier
Der Aufstand der Teenager ist ein Alarmzeichen für Hasina, die sich in diesem Jahr wieder zur Wahl stellen muss. Ihr Vorstoß, einen Teil der Plätze an den Universitäten für Familien sogenannter Freiheitskämpfer aus dem Krieg gegen Pakistan vor 47 Jahren zu reservieren, stößt gerade bei Jugendlichen auf heftigen Widerstand. Die meisten sehen darin nichts anderes als eine Maßnahme, Kindern loyaler Parteimitglieder einen der begehrten Studienplätze zuzuschachern. Mehr als die Hälfte der Hochschulplätze in dem Land werden über Quoten vergeben.
Bangladesch ist ein junger Staat: Von den mehr als 166 Millionen Einwohnern sind 34 Prozent 15 Jahre alt und jünger. Der wirtschaftliche Aufstieg hat zudem eine neue Mittelklasse hervorgebracht, die besser informiert und gebildet ist und die auch bessere Chancen fordert.
Die beiden getöteten Schüler sind ein Beispiel für diesen Umbruch. Beide stammten aus wenig begüterten Familien, doch beide hatten die Ambition zu studieren, um ihrer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Karim strebte eine Karriere beim Militär an, und Mim wollte Bankerin werden. Ihr Vater arbeitet als Fahrer. "Wir haben unser Bestes getan, um ihren Traum zu erfüllen. Doch unsere Hoffnungen sind zerstört worden", klagt er.