"Kleines Rennen" zwischen China und den USA in Richtung Quanten-Internet.
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Wien. Seit rund 400 Jahren sucht die Physik zu ergründen, was die Welt zusammenhält. Isaac Newton durchschaute das Gesetz der Schwerkraft, James Clerk Maxwell das Wesen der Elektrizität, Albert Einstein beschrieb die Relativitätstheorie. Dennoch bleiben viele Rätsel ungelöst. Was sind derzeit die spannendsten Fragen der Physik?
"Zu klären sind vor allem die Natur der Dunklen Materie, der Dunklen Energie und die Vereinigung von Gravitation und Quantenmechanik", sagt der renommierte Quantenphysiker Anton Zeilinger zur "Wiener Zeitung". Er erklärt: "Man findet, dass die Schwerkraftwirkung von Galaxien größer ist als das, was man aufgrund der Sterne, die wir sehen, rückschließen würde. Das heißt, es muss etwas Weiteres geben, das die Materie anzieht. Das wird als Dunkle Materie bezeichnet, weil sie nicht leuchtet." Zeilinger geht davon aus, dass diese Frage "in den nächsten Jahren" aufgeklärt sein wird.
Zusätzliche Energie im All
Größer und herausfordernder sei die Frage der Dunklen Energie. Da die Himmelsobjekte sich gegenseitig anziehen, wäre zu erwarten, dass sich das Universum immer langsamer ausdehnt. Es dehnt sich aber schneller aus. Wissenschafter nehmen daher an, dass eine zusätzliche Energie im Universum existiert, die die Dinge auseinandertreibt. "Viele meinen, dass irgendwo im Kosmos eine Revolution verborgen liegt", so Zeilinger.
Der dritte Punkt betrifft die fortschrittlichsten Beschreibungen der Welt - die Quantenmechanik auf der kleinsten Skala und die allgemeine Relativitätstheorie nach Albert Einstein, die die Schwerkraft beschreibt. An sich kommt die Relativitätstheorie völlig ohne Quantenphysik aus, da die Schwerkraft von Quantenobjekten so klein ist. Irgendwo aber müssen die beiden zu einer einzigen Theorie zu vereinigen sein. "Leider konnten die intelligentesten Menschen das bisher nicht beantworten", so Zeilinger: "Meine Meinung ist, dass wir in die falsche Richtung denken. Vielleicht müssen wir unsere Vorstellungen davon, was Raum und Zeit sind, ändern."
Hochenergiephysiker des Europäischen Kernforschungszentrums Cern in Genf sind der Ansicht, Teilchen-Kollisionen bei sehr hoher Energie könnten Hinweise geben, wie die beiden Theorien zu vereinen seien. Der Quantenphysiker sieht das anders: "Ich glaube es eher nicht. Aber natürlich muss man solche Experimente unbedingt machen, um zu sehen, dass das nicht die Lösung ist", sagt er."
Das Phänomen der spukhaften Fernwirkung von zwei miteinander verschränkten Teilchen - misst man ein Teilchen, nehmen beide, egal, wie weit voneinander entfernt, gleichzeitig die gleiche Eigenschaft an - deutet Zeilinger so, "dass Information fundamentaler ist als alle anderen Konzepte".
Er erläutert: "Wenn ich an genetische Zwillinge denke, weiß ich, sie haben die gleiche Haarfarbe, weil jeder für sich diese Haarfarbe hat. Bei quantenmechanischen Zwillingen dürfte ich nur sagen, die beiden haben die gleiche Haarfarbe, obwohl sie jeder für sich vor der Beobachtung keine Haarfarbe besitzt. Dieses Informationskonzept ist also stärker als das Wirklichkeitskonzept: Ob ein Teilchen in Wirklichkeit eine Haarfarbe besitzt, ist sekundär, primär ist die Aussage über die gemeinsame Information."
Ein geplantes Experiment mit einem chinesischen Satelliten soll diesen "Spuk" nicht nur über eine noch größere Entfernung als bisher beweisen, sondern auch einen Schritt in Richtung Quanten-Internet setzen, wie Zeilinger hervorhebt: "Die jetzige Kommunikation über Glasfaser benötigt viel Energie: Jedes Bit wird dargestellt durch einen Licht-Puls, der überflüssig viel Energie beinhaltet - es müsste mit weniger gehen. Wenn wir über Quantenkommunikation sprechen, trägt ein einzelnes Lichtteilchen ein Bit an Information."
Nun bahne sich sogar ein "kleines Rennen" auf diesem Gebiet an: "Wir wissen, dass die Amerikaner Pläne für einen solchen Satelliten lange in der Schublade hatten und wir vermuten, dass sie diese nun aus der Schublade gezogen haben. Es war sicher ein Motivationsschub für sie, als sie hörten, dass meine Gruppe das mit China macht." Wie es oftmals der Fall ist, wird dieses Wettrennen vermutlich das Land gewinnen, das schneller das Geld dafür bereitstellt.
In einem Quanten-Internet könne man Information auf eine Weise verschlüsseln, die nicht einmal im Prinzip abgehört werden kann, denn der Schlüssel würde, so Zeilinger, mit einzelnen Lichtteilchen übertragen: "Und da ich ein Quant nicht messen kann, ohne dass ich es ändere, käme man einem Spion in Echtzeit auf die Schliche: In dem Moment, in dem er das erste Bit verändert, weiß ich, dass er es tut. Der Spion kann also höchstens verhindern, dass ich kommuniziere, aber er kann meine Nachricht nicht haben."
Prognosen sind unmöglich
Lässt sich sagen, wie die physikalischen Erkenntnisse von heute den Alltag in der Welt von morgen prägen werden? Zeilinger antwortet darauf mit einem schlichten "Nein" und begründet das so: "Wenn Sie mir dieselbe Frage gestellt hätten vor 50 Jahren, hätte ich ihnen sicher nicht das Internet genannt, nicht einmal die Faxmaschine und schon gar nicht das Mobiltelefon." Als Transistoren noch eine Ausfallsrate von 30 Prozent hatten, hätte niemand gedacht, in einem Chip aus 1000 Transistoren würden einmal alle 1000 funktionieren. Auch Heinrich Hertz, der die ersten Experimente mit Radiowellen machte, "hat nie daran gedacht, dass man das zur Informationsübertragung verwenden kann, für Radio, Fernsehen, Telefon, das war ein rein physikalisches Experiment".
Zeilinger ist sich nur sicher, "dass es zu einer abhörsicheren Datenübertragung durch Quanten kommen und Quantencomputer geben wird, die sehr, sehr viel schneller sind als die bestehenden. Nur, wozu man die wirklich einsetzen wird, weiß ich nicht, und ich würde behaupten, das weiß niemand heute."