Zum Hauptinhalt springen

Die Revolution ist vorbei

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Ein verödeter Tahrir-Platz zeugt vom Ende des Wandels in Ägypten. Mit al-Sisi ist das Militär zurück.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kairo. Der Tahrir-Platz ist out, die Revolution vorbei. Nicht eine einzige Veranstaltung fand in den vergangenen Monaten an jenem Ort in Kairo statt, der zum Monument des Arabischen Frühlings wurde. Mittlerweile ist der Tahrir zum Schmuddelkind verkommen, der Frühling wurde zum kalten Winter. Am dritten Jahrestag der Revolution Ende Jänner holte sich Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi von hunderttausenden Ägyptern die Bestätigung für seine Kandidatur zum Präsidenten. Armeehelikopter flogen über den Platz, die Massen jubelten. Heute, Dienstag, gehen die zweitägigen Präsidentschaftswahlen zu Ende. Ergebnisse werden im Laufe der Woche erwartet, aber der Sieger steht ohnehin schon fest. Er wird al-Sisi heißen.

Es gibt keine Zelte mehr am Tahrir-Platz, keine Demonstranten. Die Menschen, die man jetzt sieht, sind Teil der über 50 Millionen Wahlberechtigten, die in die Lokale in den Seitenstraßen gehen, um ihre Stimme abzugeben. Viele Ägypter wollen inzwischen vergessen, was hier begann und eine Lawine in der Region auslöste, das Wort "Tahrir" zum Synonym für Wandel und Aufbruch im Nahen Osten werden ließ. Es müsse endlich Schluss sein mit den ewigen Demonstrationen, hört man derzeit überall in der Stadt: "Genug ist genug!"

Zuweilen hört es sich an, als ob die Menschen sich sogar dafür schämen, was hier vor drei Jahren geschah, als Langzeitherrscher Hosni Mubarak gestürzt wurde. Manche Geschäfte am Platz sind noch immer geschlossen, die Türen verriegelt, die Besitzer weggezogen. Die jungen Revolutionäre sitzen im Gefängnis oder sind abgetaucht. Genauso wie die Muslimbrüder und deren Anhänger. Mehr als 1000 von ihnen sind tot. Seitdem die Militärs wieder an der Macht sind, fegt ein eiserner Besen durch Ägypten. Nur noch wenige Souvenirhändler harren am Tahrir-Platz in der Hoffnung aus, dass sich vielleicht doch noch ein paar Touristen hierher verirren und vom Glanz jener Tage zumindest eine Anstecknadel oder ein T-Shirt mitnehmen wollen. Ansonsten herrscht Langeweile.

Nur ein Gegenkandidat

Auch Hamdin Sabahi hat wohl erkannt, dass am Tahrir keine Stimme mehr zu holen ist. Der einzige Gegenkandidat al-Sisis für das Präsidentenamt hielt seine letzte große Kundgebung vor dem Abdeen Palast ab. Hier begann im Juli 1952 die Herrschaft der Militärs in Ägypten. Die Armee belagerte den Palast, König Faruq musste abdanken und der Palast verlor seine Aufgabe als Regierungssitz. Seitdem entstammten Ägyptens Präsidenten dem Militär. Einmal nur schaffte es ein Zivilist an die Macht, der Islamist Mohammed Mursi. Doch dessen Amtszeit währte nur ein Jahr. Dann wurde er nach Massenprotesten mithilfe der Militärs gestürzt. Der nächste Präsident wird wieder ein Offizier sein.

War es Ironie oder Symbolik, dass ausgerechnet der Linke Hamdin Sabahi die Königsresidenz zu neuem Leben erweckt hat? Fahnen und Poster des Kandidaten schmückten den Platz vor dem Palast. Die Farbe Blau dominierte. Blau ist die Hoffnung, und die stirbt bekanntlich zuletzt. Nie war dieses Sprichwort für Sabahi so aktuell wie heute. "Wir haben die Menschen davor bewahrt, nur einen Kandidaten bei dieser Wahl zu haben", ruft der 59-Jährige in die Menge. "Nun können wir nur noch beten, dass sie sich für Gerechtigkeit, Freiheit, Hoffnung und Zukunft entscheiden."

Beschwörung der Revolution

Damit spricht er die Ziele der Revolution an, die dieser Tage nur noch wenige hochhalten. Er habe gegen das "korrupte Regime Hosni Mubaraks" gekämpft und auch gegen die "unterdrückende Herrschaft der Muslimbrüder". Deshalb fordere er seine Anhänger auf, an ihre Ziele zu glauben, trotz Diffamierungen, trotz der Voreingenommenheit der Medien und trotz geringer finanzieller Ausstattung für seine Wahlkampagne. Wenn er gewinne, werde er diejenigen aus dem Gefängnis holen, die wegen ihrer politischen Gesinnung dort einsäßen, betont Sabahi.

Doch er wird nicht gewinnen. Sensationell wäre es, wenn der Journalist und Dichter wieder 20 Prozent der Stimmen erhielte, wie bei der Wahl 2012, als er Drittplatzierter unter 13 Kandidaten wurde. Gewonnen hat damals Mursi. Sabahi will junge Ägypter für sich gewinnen, die die Revolution geprägt haben und sich um sie betrogen fühlen.

Einen Tag vor der Wahl wurde das Wahlplakat von Sabahi am Tahrir-Platz zerrissen. Jetzt hängen dort nur noch Poster des anderen Kandidaten: Abdel Fattah al-Sisi.

Dieser scheint von seinem Sieg so überzeugt zu sein, dass er seine Kampagne auf ein Minimum reduzierte. Es gab keine Wahlkampfveranstaltungen, lediglich zwei Interviews im Fernsehen. In ein von der Armee betriebenes Luxushotel lud der Präsident in spe handverlesene Gäste ein, mit denen er diskutierte und die ihm huldigen durften. Auf die Argumente des Mitbewerbers wurde mit keiner Silbe eingegangen, inhaltliche Auseinandersetzungen suchte man vergebens. Stattdessen wurden die inländischen Medien zu Wahlkampfmaschinen, die jegliche Kritik am Vorgehen des Kandidaten sofort drastisch zurückwiesen. In seiner ersten Fernsehansprache warnte al-Sisi Nachrichtenredakteure davor, sich zu sehr mit Themen wie Meinungsfreiheit und anderen Rechten zu beschäftigen. Man dürfe den Menschen keine Angst einjagen, sonst werde die nationale Sicherheit aufs Spiel gesetzt.

Inmitten all dieser Entwicklungen hat der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter angekündigt, keine Wahlbeobachter an den Nil zu schicken. Der demokratische Prozess sei nach den Unruhen der letzten Zeit ins Stocken geraten. Das Carter-Zentrum hatte im Jahre 2012 sowohl die Parlaments-, als auch die Präsidentschaftswahlen observiert und stets ein wachsames Auge auf die Entwicklung Ägyptens geworfen.