Wiens paraguayische Community umfasst 80 Männer und Frauen.
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Wien. Es ist Samstagnachmittag. Es herrscht Hochbetrieb in Roberto Gubos Wohnung im 4. Bezirk. Besser gesagt in seiner Küche. Da wird Spinat und Fleisch in Teigtaschen, sogenannten Empanadas, gefüllt, Kokosflan angerichtet und Rindfleisch mariniert. Die fünf Frauen in der Küche bereiten sich auf "Asado" vor, das traditionelle paraguayische Grillfest. Am nächsten Tag wollen sie die Köstlichkeiten auf der Donauinsel ihren Landsleuten und Freunden anbieten.
Lateinamerikaner sind es gewöhnt, wenig zu essen
Rund 80 Paraguayer leben in Wien. In ganz Österreich sind es rund 200 Männer und Frauen. Es ist eine eingeschworene Community, die inmitten der österreichischen Mehrheitsgesellschaft ihre Bräuche und Sitten pflegt. "Der Paraguayer schneidet zum Beispiel sein Fleisch anders als der Österreicher", erklärt Gubo fachmännisch die Kunst des "Asados", was auf Spanisch "gegrillt" bedeutet. Im Unterschied zum hiesigen Fleischschnitt werden die Rippen für das "Asado" quer und nicht längst geschnitten. Da rund 30 Kilo Rippenstränge zubereitet werden, müssen die Griller entsprechend dimensioniert sein. "Anlässlich der Feiern zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Paraguays von Spanien haben wir vergangenes Jahr Asado für 300 Gäste gegrillt", erinnert sich der studierte Betriebswirt stolz. Seit 2007 lebt er mit seiner Frau, seinen zwei Söhnen und seiner Schwiegermutter in Wien.
Die meisten hier lebenden Paraguayer sind Arbeitsmigranten. Ende der 1970er Jahre kamen die ersten Paraguayer nach Österreich. Es war eine harte Zeit, erinnert sich die Architektin Isabel Arévalos. Sie verließ ihre Heimat aufgrund des repressiven Regimes von Alfred Stroessners Militärdiktatur (1954-1989). Freunde vermittelten Arévalos an eine Familie in Wien, wo sie auf zwei kleine Kinder aufpassen sollte. Die Familie ließ sie schwarz arbeiten. An eine Sache erinnert sie sich besonders genau: das Essen. Oder besser das Fehlen davon. Nur sehr wenige Mahlzeiten gab es für das Kindermädchen aus Lateinamerika. "Sie sagten, da ich aus Lateinamerika komme, sei ich gewöhnt, nur wenig zu essen", erinnert sich Arévalos rückblickend mit Erstaunen. Heute arbeitet die 58-jährige als Pflegekrankenschwester bei der Caritas. Dass sie aus Paraguay kommt, muss sie immer wieder betonen. Manchmal muss sie lachen, wenn sie Fremde mit einer Chinesin verwechseln. "Ich bin zu 100 Prozent Paraguayerin", sagt Arévalos, die auf ihre Mandelaugen, ebenso wie auf ihre indianischen Guaraní-Wurzeln, sehr stolz ist.
Ohne Deutschkein Ehemann
"Du bist erst dann zu 100 Prozent Paraguayer, wenn du Guaraní sprichst", erklärt Roberto Gubo seinem 10-jährigen Sohn Erick. Guaraní, eine Indio-Sprache Südamerikas, wurde 1992, neben Spanisch, als zweite offizielle Amtssprache des Landes in die Verfassung Paraguays aufgenommen. Als einziges Land Lateinamerikas wird in Paraguay die indigene Sprache sowohl auf dem Land als auch in der Stadt gesprochen. Sie ist ein wesentlicher Aspekt der kulturellen Identität.
Um gegen den Verlust der Sprache im Ausland anzukämpfen und um die Kultur Paraguays in Wien zu fördern, gründete Roberto Gubo mit "Asopara" einen Kulturverein für die in Österreich lebenden Paraguayer. Erst unlängst bestellte der Verein beim Unterrichtsministerium in Paraguay für die rund 20 in Wien lebenden paraguayischen Kinder Unterrichtsmaterial in Guaraní. "Wir alle tragen Paraguay in unseren Herzen und sind stolze Botschafter unseres Landes", sagt der 35-jährige Familienvater.
Auch wenn Gubo, seine Frau Estrella und Isabel Arévalos sich für die Verbreitung der Kultur und der Sprachen Paraguays engagieren, so wissen sie doch genau, dass die Integration in Österreich ohne Deutschkenntnisse nicht stattfindet. Und so motivieren sie ihre Landsleute zum Besuch von Deutschkursen, denn "ohne Deutsch kannst du in Wien gar nichts machen, nicht einmal einen Ehemann finden", sagt Isabel mit einem breiten Lachen.
Als sie nach Wien kam und hungerte, konnte sie sich kaum verständigen. Das Wörterbuch und Freunde unterstützten sie anfangs dabei, sprachlich über die Runden zu kommen. "Damals gab es noch nicht so viele Kursangebote wie heute", sagt sie. Dass sich ihre Landsleute Sprachkurse aus Geldmangel nicht leisten können, will sie heute als Ausrede nicht gelten lassen, denn im "Lefö", einer Organisation, die sich seit 1985 für die Rechte von Migrantinnen einsetzt, kann man günstige Sprachkurse besuchen.
Mittlerweile ist es Mitternacht geworden in Gubos Residenz und somit höchste Zeit, die Rinder-Rippen fertig zu marinieren. Rund sechs Stunden muss das Fleisch Geschmack annehmen, bevor es auf dem Grill langsam gegart wird. Um fünf Uhr Früh machen sich dann alle Köche gemeinsam auf den Weg zur Donauinsel, wo sie Freunde und Landsleute treffen werden. Dann wollen sie ein bisschen Paraguay inmitten von Wien aufleben lassen - wie es sich eben für Botschafter gehört.